Christof Gramm: Säkularismusschäden

Ostern bei Aldi – Wenn Religion zur Restpostenware wird

Säkularisierungsgewinne werden seit der Aufklärung gerne ins Schaufenster der Gelehrten gelegt. Die Aufklärung verspricht in ihren religi-onskritischen Spielvarianten mehr Rationalität, mehr Selbststeuerung und Selbstverwirklichung, die Überwindung von Kinder- und Aberglau-ben, von Zauber und falschen Mächten, mehr Friedlichkeit im Zusammenleben der Menschen usw. Schluss mit Gotteskomplex und Gottes-vergiftung! Aus dieser Sichtweise geht es um nicht weniger als um die Emanzipation von jahrhundertlanger Unterdrückung. Weniger intensiv beachtet wird hingegen die Preisliste, für den Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes. Dabei geht es um Schäden und Verluste durch den Säkularismus

Säkularismus meint eine Lebenseinstellung und eine Ideologie, die auf Gott vollständig verzichtet. Richtig ist: Es gibt keine innerweltliche Not-wendigkeit Gottes. Für viele geht es ganz gut auch ohne ihn. Ihnen fehlt nichts, wenn Gott fehlt. Wobei mit dem Glauben an die Existenz oder Nichtexistenz Gottes noch nicht viel gesagt ist. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob und wie Gott in der Welt wirkt. Unterstellt, es gäbe ihn: Hat er sich aus dieser Welt vollständig verabschiedet und diese nach der Schöpfung sich selbst überlassen? (So oder so ähnlich dachte beispielsweise Einstein). Der Glaube an ihn und an religiöse Handlungen wie das Gebet können dann nichts bewirken und sind sinnlos. Oder wirkt Gott auch jetzt in dieser Welt, und wenn ja wie?

Aber zurück zur Preisliste. Wo die Bilder der christlichen Religion nicht mehr präsent sind, tritt in der christlich geprägten Welt ein Kulturverlust ein. Der Erzählungsabriss ist enorm. Die religiösen Bilder sprechen nicht mehr zu uns, und was von Ostern bleibt, bringt die Werbung zynisch auf den Punkt: „Wenn du Ostern suchst, findest du es bei Aldi.“ Die Entzauberung der Welt und der Verlust des Geheimnisvollen wer-den zum Einkaufserlebnis gewendet. Das Heilige existiert nicht mehr. Geltung besitzt nur noch das, was tatsächlich der Fall ist. Gott, sofern es ihn denn gibt, ist jedenfalls irrelevant

Tatsachenkult führt jedoch nicht nur zur Banalisierung der Existenz, sondern damit einher geht ein Verlust an Weltverständnis. Wo das Göttliche keinen Resonanzraum und keinen Horizont der persönlichen Ausrichtung mehr bildet, verschieben sich unsere Deutungsmuster. Gott kann keine Kraftquelle, keine Orientierungsmarke der eigenen Sinnausrichtung und kein Tröster in Unglück und Not mehr sein. Was bleibt ist die radikale Hierwelt, ohne Ausweg und Alternative. Eine wie auch immer geartete Anderswelt hat im Säkularismus keinen Platz. Bemerkenswert ist allerdings, wie viele Suchbewegungen für mehr oder weniger spirituelle Orientierungen es auch im fortgeschrittenen Säkularismus gibt.

Jenseits solcher eher abstrakten Überlegungen hat Säkularismus erhebliche lebenspraktische Konsequenzen. An die Stelle Gottes tritt die Selbsterlösung, insbesondere durch Genussmaximierung, durch Erlebnisbeschleunigung und die Steigerung des Lebenstempos und durch Selbstoptimierung und Selbstveredelung. Das sich selbst formende Ich gerät dadurch allerdings unter enormen Druck. Die Ich-Fixierung ist vorprogrammiert. Die Fähigkeit, von sich selbst auch einmal abzusehen und sich nicht so wichtig zu nehmen, ist im entwickelten Säkularismus weder erstrebenswert noch hat sie als Leitidee darin überhaupt Platz. Das Ich tritt vielmehr an die Stelle Gottes, und sich selbst zu verpassen ist die eigentliche Sünde im Säkularismus. Wo der Mensch an die Stelle Gottes tritt, füllen sich die Glaubens- und Hoffnungsräume häufig durch die Hinwendung zum Menschen als Maß aller Dinge. Der Glaube an den guten Menschen und die Tendenz zu seiner Überschätzung sind säkularistische Konsequenzen, die angesichts der vielen menschlichen Untaten in der jüngeren Vergangenheit und in der Gegenwart, aber auch mit Blick auf die ökologische Zerstörung des Planeten eigentlich keinerlei Berechtigung haben dürften. Es scheint so, dass der Säkularismus im Zeitalter des Anthropozän blind für das Versagen der Menschen macht.

Eine weitere Konsequenz von Säkularismus ist die Ethisierung aller Lebensbezüge. An die Stelle des Glaubens an Gott tritt der Glaube an die Moral. Nicht mehr religiös abgepuffert gewinnt das Moralische bzw. das, was man dafür hält, eine übergroße Dimension und nimmt oft genug rigorose Züge an. Das gilt links wie rechts. Die voranschreitende politische Aufheizung der westlichen Gesellschaften in einem rigorosen Freund-Feind-Schema mag Beleg dafür sein.

Die Überbetonung des Moralischen findet manchmal leider auch in den Kirchen selbst statt. Die Reformatoren wussten das jedenfalls besser. Es geht im Christentum in erster Linie nicht um die Moral, sondern um das Gott-Mensch Verhältnis. Alles andere ist eine dramatische Verkürzung.

Wenn der christliche Rahmen nicht verzerrt dargestellt wird, kann er auch heute einen existenziell wertvollen Deutungs-, Orientierungs- und Resonanzraum bilden, einen Raum der Geborgenheit, des Trostes und des Vertrauens. Der Säkularismus kann das mit seinen Instrumenten nicht auffangen, im Gegenteil, er nimmt den Menschen etwas weg und liefert sie alleine der Hierwelt aus. Den Preis dafür zahlen wir alle.

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