Statement Henriette Crüwell

Statement Pröpstin Henriette Crüwell

Verfasst für das öffentliche Abendgespräch

zum WELT-Artikel am 28.10.2024

Pröpstin Pfarrerin Henriette Crüwell konnte aufgrund einer Erkrankung nicht an der Diskussion teilnehmen. Folgendes Statement wurde deshalb zu Beginn verlesen. Sie schreibt:

Ich wäre heute Abend sehr gern dabei gewesen. Leider hat mich Corona ziemlich doll erwischt. Ich möchte Ihnen auf diesem Weg von Fragen berichten, die mich umtreiben. Fragen, die ich mir übrigens auch und zuerst selbst immer wieder stelle:

Rechnen wir überhaupt (noch) mit Gott und seinem Wirken in der Kirche und in der Welt?

Fragen wir genug, wohin Gott uns heute ruft und stellt?

Wir erleben gerade einen rasant zunehmenden Abbruch der Institution bzw. Organisation Kirche und stemmen uns dagegen an, indem wir Bestehendes optimieren. Wie kann es uns gelingen, dabei nicht nur um die Organisation zu kreisen?

Ist nicht vielleicht auch unser kirchliches Bemühen, uns angesichts einer zunehmenden Säkularisierung mit moralischen Positionierungen noch irgendwie im politischen und gesellschaftlichen Diskurs zu halten, nicht letztlich auch nur dem Bedürfnis organisationalen Selbsterhalts als „gesellschaftlicher Player“ geschuldet?

Ich möchte mit Ihnen Beobachtungen teilen, die ich als Pröpstin immer wieder mache und die mich bewogen haben, gemeinsam mit anderen das Forum Kirche und Theologie zu gründen.

  1. Beobachtung: Ich führe zurzeit sehr viele Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen. Der durchgehende Tenor: „Ich kann nicht mehr! Ich bin nur noch mit Strukturen, Rechtsformen und Bürokratie beschäftigt.“ Immer mehr ältere Pfarrer:innen entscheiden sich, in den vorzeitigen Ruhestand zu gehen. Probedienstler:innen fühlen sich schon nach den ersten Monaten völlig ausgebrannt.
  2. Beobachtung: Wenn ich mit Kirchenvorsteher:innen spreche, höre ich auch dort immer wieder und das zunehmend: „Ich überlege, mein Amt niederzulegen. Ja, manchmal denke ich sogar darüber nach, auszutreten. Wir kommen gar nicht mehr zu dem, weshalb wir Gemeinde sind. Um den Glauben geht es schon längst nicht mehr.“ Und einer fügte noch hinzu: „Ich will nicht der Totengräber der Kirche sein.“
  3. Beobachtung: Anfang Oktober fand im geistlichen Zentrum Nieder-Weisel mitten in der Woche ein Tag „Spirituelle Kirche 2030“ statt. 150(!) Menschen haben daran teilgenommen. Und es gab sogar noch eine Warteliste. Die Sehnsucht nach einer geistlichen (Neu-) Ausrichtung der Kirche ist groß und scheint zu wachsen. Sie markiert eine Lücke, die in den aktuellen Kirchenstrukturprozessen immer weiter aufzureißen scheint.

Wenn man die große Resonanz auf unseren Artikel in der Welt mal mit Abstand betrachtet, dann zeigt sie auch, dass „Gott“ wider aller Unkenrufe immer noch eine Schlagzeile wert ist. Auch und gerade in unserer säkularen Gesellschaft.

Mir zeigt das: Wir brauchen in der Gesellschaft und in der Kirche wieder Theologie als Theo-Logie, also Rede von Gott. Und als Mensch in einer Kirchenleitung möchte ich noch hinzufügen: Wir brauchen dort die akademische Theologie als Gesprächspartnerin heute mehr denn je, um eine existentiell aufmerksame Theologie zu entwickeln, die buchstäblich inter-essant ist.

Und so wünsche ich diesem Gespräch heute Abend Gottes Segen!

Logo des Forums Kirche & Theologie mit stilisiertem Alpha-Zeichen und Kreuz
Weitere Beiträge in unserem Forum lesen:

Ulrich H. J. Körtner: Religion und Populismus

Zur Kritik unterkomplexer Populismuskritik in Theologie und Kirche. Der Beitrag „Religion und Populismus – Zur Kritik unterkomplexer Populismuskritik in Theologie und Kirche“ von Ulrich H. J. Körtner wirft einen differenzierten Blick auf das Verhältnis von Kirche,...

Christof Gramm: Säkularismus

Was bleibt, wenn das Heilige fehlt? Säkularisierungsgewinne werden seit der Aufklärung gerne ins Schaufenster der Gelehrten gelegt. Die Aufklärung verspricht in ihren religionskritischen Varianten mehr Rationalität, mehr Selbststeuerung und Selbstverwirklichung, die...

Volker A. Lehnert: Zur theologischen Deutung des Todes Jesu

Gedanken zu Karfreitag Die Kontroverse um die Interpretation des Kreuzestodes Jesu existiert seit Golgatha. War Jesus ein Aufrührer, ein Gotteslästerer, ein Häretiker, ein falscher Prophet, ein Menschenopfer, ein Justizirrtum oder was war er? Und wenn er das...

Christof Gramm: Säkularismusschäden

Ostern bei Aldi – Wenn Religion zur Restpostenware wird Säkularisierungsgewinne werden seit der Aufklärung gerne ins Schaufenster der Gelehrten gelegt. Die Aufklärung verspricht in ihren religi-onskritischen Spielvarianten mehr Rationalität, mehr Selbststeuerung und...

Hartwig von Schubert: Europäische Selbstverteidigung

Die Stunde Europas. Und die evangelische Kirche? Schaut angestrengt weg. Am 24. Februar 2022 eröffnete die Russische Föderation mit dem Einmarsch in die Ukraine einen Westfeldzug, der zunächst als Blitzkrieg angelegt, dann allerdings massiv ins Stocken geriet. Der...

Ralf Frisch: Das kleine gallische Dorf

Das kleine gallische Dorf einer politisch milieuverengten Kirche. Not, Elend und Verheißung des Protestantismus nach dem Berliner Brandmauerbrandbrief 1) Volkskirche ohne Volk, aber mit politischem Lehramt Am 28. Januar 2025 übermittelten Karl Jüsten und Anne Gidion...