Forum Kirche und Theologie:
Kontroverses
Mariann Edgar Budde, Bischöfin der Anglikanischen Kirche in Washington
Predigt im Gottesdienst zur Amtseinführung von Präsident Donald Trump, Washington National Cathedral, am 21. Januar 2025
O Gott, du hast uns nach deinem Bild geschaffen und uns durch Jesus, deinen Sohn, erlöst: Schaue mit Mitgefühl auf die ganze Menschheitsfamilie; nimm von uns die Arroganz und den Hass, die unsere Herzen infizieren; reiße die Mauern nieder, die uns trennen; vereine uns mit Banden der Liebe; und wirke durch unsere Kämpfe und Verwirrungen, um deine Absichten auf Erden zu verwirklichen; damit dir zu deiner Zeit alle Nationen und Rassen in Harmonie um deinen himmlischen Thron dienen; durch Jesus Christus, unseren Herrn. Amen.
Jesus sagte: Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß. Und es begab sich, als Jesus diese Rede vollendet hatte, dass sich das Volk entsetzte über seine Lehre; denn er lehrte sie mit Vollmacht und nicht wie ihre Schriftgelehrten. (Mt 7,24–29)
Gemeinsam mit vielen Menschen aus dem ganzen Land haben wir uns heute Morgen versammelt, um für die Einheit als Nation zu beten – nicht für eine politische oder anderweitige Einigung, sondern für die Art von Einheit, die Gemeinschaft über Vielfalt und Spaltung hinweg fördert, eine Einheit, die dem Gemeinwohl dient.
Einheit in diesem Sinne ist die Grundvoraussetzung für das Zusammenleben der Menschen in einer freien Gesellschaft, sie ist der feste Fels, wie Jesus sagte, auf dem in diesem Falle eine Nation aufgebaut werden kann. Es geht nicht um Konformität. Es geht nicht um den Sieg des einen über den anderen. Es geht nicht um aufgesetzte Höflichkeit oder Passivität, die aus Erschöpfung entsteht. Einheit ist nicht parteiisch.
Einheit ist vielmehr eine Art des Miteinanders, die Unterschiede einschließt und respektiert, die uns lehrt, verschiedene Perspektiven und Lebenserfahrungen als gültig und respektwürdig zu betrachten; die es uns ermöglicht, in unseren Gemeinden und in den Machtzentren aufrichtig füreinander zu sorgen, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Diejenigen in unserem Land, die ihr Leben anderen widmen oder sich freiwillig melden, um anderen in Zeiten von Naturkatastrophen zu helfen, oft unter großer Gefahr für sich selbst, fragen diejenigen, denen sie helfen, nie, wen sie bei der letzten Wahl gewählt haben oder welche Positionen sie zu einem bestimmten Thema vertreten. Wir geben unser Bestes, wenn wir ihrem Beispiel folgen.
Einheit ist manchmal auch mit Opfern verbunden, so wie Liebe Opferbereitschaft bedeutet, ein Sich-Hingeben für das Wohl eines anderen. Jesus von Nazareth ermahnt uns in seiner Bergpredigt, nicht nur unsere Nächsten zu lieben, sondern auch unsere Feinde, und für diejenigen zu beten, die uns verfolgen; barmherzig zu sein, wie unser Gott barmherzig ist, und anderen zu vergeben, wie Gott uns vergibt. Jesus scheute keine Mühen, um diejenigen willkommen zu heißen, die in seiner Gesellschaft als Ausgestoßene galten.
Ich gebe zu, dass Einheit in diesem umfassenden Sinne ein hochgestecktes Ziel ist und dass es etwas Großes ist, um das wir beten – eine große Bitte an unseren Gott, die es wert ist, das Beste von dem, was wir sind und sein können, einzusetzen. Aber unsere Gebete bringen nicht viel, wenn wir auf eine Weise handeln, die die Spaltungen zwischen uns weiter vertieft und ausnutzt. Unsere heiligen Schriften sagen ganz klar, dass Gott niemals von Gebeten beeindruckt ist, wenn Handlungen nicht von ihnen geleitet werden. Gott verschont uns auch nicht vor den Folgen unserer Taten, die letztlich mehr zählen als die Worte, die wir beten.
Diejenigen von uns, die hier in dieser Kathedrale versammelt sind, sind nicht naiv, was die Realitäten der Politik angeht. Wenn Macht, Reichtum und konkurrierende Interessen auf dem Spiel stehen; wenn es unterschiedliche Ansichten darüber gibt, wie Amerika sein sollte; wenn es starke Meinungen über ein Spektrum von Möglichkeiten und völlig unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was die richtige Vorgehensweise ist, wird es Gewinner und Verlierer geben, wenn Stimmen abgegeben oder Entscheidungen getroffen werden, die den Kurs der öffentlichen Politik und die Priorisierung von Ressourcen bestimmen. Es versteht sich von selbst, dass in einer Demokratie nicht die Hoffnungen und Träume aller Menschen in einer Legislaturperiode, einer Amtszeit oder sogar einer Generation verwirklicht werden. Nicht alle Gebete – für diejenigen von uns, die gläubig sind – werden so erhört, wie wir es uns wünschen. Aber für einige bedeutet der Verlust ihrer Hoffnungen und Träume weit mehr als eine politische Niederlage, nämlich den Verlust von Gleichheit, Würde und Lebensunterhalt.
Ist wahre Einheit unter uns angesichts dessen überhaupt möglich? Und warum sollte uns das etwas angehen?
Nun, ich hoffe, dass es uns etwas angeht, denn die Kultur der Verachtung, die in unserem Land normal geworden ist, droht uns zu zerstören. Wir alle werden täglich mit Botschaften bombardiert, die Soziologen inzwischen als „Empörungsindustriekomplex“ bezeichnen. Ein Teil davon wird von externen Kräften angetrieben, deren Interessen durch ein polarisiertes Amerika gefördert werden. Verachtung treibt unsere politischen Kampagnen und sozialen Medien an, und viele profitieren davon. Aber es ist eine gefährliche Art, ein Land zu führen.
Ich bin ein gläubiger Mensch und mit Gottes Hilfe glaube ich, dass Einheit in diesem Land möglich ist – nicht perfekt, denn wir sind unvollkommene Menschen und eine unvollkommene Gemeinschaft – aber ausreichend, um an die Ideale der Vereinigten Staaten von Amerika zu glauben und daran zu arbeiten, sie zu verwirklichen – Ideale, die in der Unabhängigkeitserklärung zum Ausdruck kommen, mit ihrer Bekräftigung der angeborenen Gleichheit und Würde des Menschen.
Und wir beten zu Recht um Gottes Hilfe bei unserem Streben nach Einheit, denn wir brauchen Gottes Hilfe, aber nur, wenn wir selbst bereit sind, uns um die Grundlagen zu kümmern, von denen die Einheit abhängt. Wie Jesus es mit dem Bild vom Bau eines Glaubenshauses auf dem Felsen seiner Lehren im Gegensatz zum Bau eines Hauses auf Sand verglich, müssen die Fundamente, die wir für die Einheit brauchen, stabil genug sein, um den vielen Stürmen standzuhalten, die sie bedrohen.
Was sind die Grundlagen der Einheit? Ausgehend von unseren heiligen Traditionen und Texten möchte ich behaupten, dass es mindestens drei sind.
Die erste Grundlage für die Einheit ist die Achtung der angeborenen Würde jedes Menschen, die, wie alle hier vertretenen Glaubensrichtungen bekräftigen, das Geburtsrecht aller Menschen als Kinder des einen Gottes ist. Im öffentlichen Diskurs bedeutet die gegenseitige Achtung der Würde, dass wir uns weigern, diejenigen, mit denen wir anderer Meinung sind, zu verspotten, abzuwerten oder zu verteufeln, und uns stattdessen dafür entscheiden, über unsere Differenzen hinweg respektvoll zu debattieren und, wann immer möglich, nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Wenn es keine Gemeinsamkeiten gibt, verlangt die Würde, dass wir unseren Überzeugungen treu bleiben, ohne diejenigen zu verachten, die ihre eigenen Überzeugungen haben.
Ein zweites Fundament für die Einheit ist Ehrlichkeit sowohl in privaten Gesprächen als auch in öffentlichen Debatten. Wenn wir nicht bereit sind, ehrlich zu sein, hat es keinen Sinn, für die Einheit zu beten, denn unsere Handlungen wirken den Gebeten selbst entgegen. Wir mögen eine Zeit lang ein falsches Gefühl der Einheit unter einigen erleben, aber nicht die stärkere, umfassendere Einheit, die wir brauchen, um die Herausforderungen zu bewältigen, vor denen wir stehen.
Um aufrichtig zu sein, wir wissen wir nicht immer, wo die Wahrheit liegt, und es gibt eine Menge, das derzeit gegen die Wahrheit arbeitet, und zwar in wirklich erstaunlichem Ausmaß. Aber wenn wir wissen, was wahr ist, ist es unsere Pflicht, die Wahrheit auszusprechen, auch wenn – und vor allem, wenn – es uns etwas kostet.
Ein drittes Fundament für Einheit ist Bescheidenheit, die wir alle brauchen, weil wir alle fehlbare Menschen sind. Wir machen Fehler. Wir sagen und tun Dinge, die wir bereuen. Wir haben unsere blinden Flecken und Vorurteile, und wir sind vielleicht am gefährlichsten für uns selbst und für andere, wenn wir ohne jeden Zweifel davon überzeugt sind, dass wir absolut Recht haben und jemand anderes absolut Unrecht hat. Denn dann sind wir nur ein paar Schritte davon entfernt, uns selbst als die Guten und alle anderen als die Bösen zu bezeichnen.
Die Wahrheit ist, dass wir alle Menschen sind, die sowohl Gutes als auch Schlechtes tun können. Aleksandr Solschenizyn bemerkte scharfsinnig: „Die Grenze zwischen Gut und Böse verläuft nicht zwischen Staaten, nicht zwischen Klassen, nicht zwischen politischen Parteien, sondern mitten durch jedes einzelne menschliche Herz und durch alle menschlichen Herzen.“ Je mehr wir uns dessen bewusst werden, desto mehr Raum haben wir in uns selbst für Demut und Offenheit füreinander, über unsere Unterschiede hinweg, denn in Wirklichkeit sind wir einander ähnlicher, als uns bewusst ist, und wir brauchen einander.
Bei feierlichen Anlässen ist es relativ einfach, für die Einheit zu beten. Es ist viel schwieriger zu erkennen, wenn wir es mit echten Unterschieden in der Öffentlichkeit zu tun haben. Aber ohne Einheit bauen wir das Haus unserer Nation auf Sand.
Mit einem Bekenntnis zur Einheit, das Vielfalt einschließt und Meinungsverschiedenheiten überwindet, und den soliden Grundlagen von Würde, Ehrlichkeit und Bescheidenheit, die eine solche Einheit erfordert, können wir unseren Teil dazu beitragen, die Ideale und den Traum Amerikas zu verwirklichen.
Lassen Sie mich eine letzte Bitte äußern, Herr Präsident. Millionen Menschen haben ihr Vertrauen in Sie gesetzt. Wie Sie gestern der Nation mitteilten, haben Sie die Hand der Vorsehung eines liebenden Gottes gespürt. Im Namen unseres Gottes bitte ich Sie, sich der Menschen in unserem Land zu erbarmen, die jetzt Angst haben. Es gibt schwule, lesbische und transgender Kinder in demokratischen, republikanischen und unabhängigen Familien, die um ihr Leben fürchten.
Und die Menschen, die unsere Ernte einbringen und unsere Bürogebäude reinigen; die in unseren Geflügelfarmen und Fleischverpackungsbetrieben arbeiten; die das Geschirr spülen, nachdem wir in Restaurants gegessen haben, und die Nachtschicht in Krankenhäusern arbeiten – sie sind vielleicht keine Staatsbürger oder haben nicht die richtigen Papiere, aber die große Mehrheit der Einwanderer sind keine Kriminellen. Sie zahlen Steuern und sind gute Nachbarn. Sie sind treue Mitglieder unserer Kirchen, Moscheen und Synagogen, Gurdwaras und Tempel.
Erbarmen Sie sich, Herr Präsident, der Menschen in unseren Gemeinden, deren Kinder Angst haben, dass ihre Eltern weggebracht werden. Helfen Sie denen, die vor Kriegsgebieten und Verfolgung in ihrem eigenen Land fliehen, hier Mitgefühl und Aufnahme zu finden. Unser Gott lehrt uns, dass wir Fremden gegenüber barmherzig sein sollen, denn wir waren einst Fremde in diesem Land.
Möge Gott uns allen die Kraft und den Mut verleihen, die Würde jedes Menschen zu achten, die Wahrheit in Liebe zu sagen und demütig miteinander und mit unserem Gott unseren Lebensweg zu gehen, zum Wohle aller Menschen in dieser Nation und auf der ganzen Welt.
- Übersetzung: Günter Thomas
- englisches Original
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