Günter Thomas: Weihnachten

Feier von Gottes Feindesliebe

An Weihnachten feiern wir Christen eine göttliche Intervention. Gott kommt. Gott kommt als Kind. Gott kommt als Kind in eine Welt der Gewalt. Gott kommt in eine Welt der Gewalt, die sich nicht selbst helfen kann. Doch Gott kommt in eine Welt, die, weil sie nicht voller Liebe ist, darauf mit Feindschaft reagiert. An Weihnachten kommt jedes Jahr die Wahrheit ans Licht: Die Welt ist chaotisch dunkel.

Es gibt keinen Platz im Raum menschlicher Gastlichkeit. Es gibt keine Herberge. In einer eigentümlichen Verkehrung der Wahrheit und einer gleichzeitigen Erkenntnis der Wahrheit erfährt der Herrscher Herodes dieses Kind als Bedrohung seiner Gewaltherrschaft. Das Kind provoziert die Offenlegung dessen, was Sache ist. Gewalt. Wenn Gott kommt, muss er fliehen. Die „Seinen“ nehmen ihn nicht auf. Darum ist diese Szene im langen Drama Gottes mit der Welt eine Schlüsselszene. Weihnachten ist ein Fest der göttlichen Liebe inmitten menschlicher Gottesferne und Gottesfeindschaft. Die Weihnachtsliebe ist Feindesliebe.

Die Weihnachtsfreude wurzelt in einer ganz besonderen Verwunderung. Weil die Rache der elementarste Schrei nach Gerechtigkeit ist, wünschen sich viele Menschen angesichts des Zustands der Welt einen Rächer. Hollywood, Bollywood und Netflix sind hier recht eindeutig. Der rettende Rächer soll der Gewalt mit Macht begegnen. Schon Maria träumt davon im Magnifikat.

Doch im Kind in der Krippe lebt Gott seine ganz eigene Passion. Es ist der Weg in das Leiden. Der Mann aus Nazareth lebt aber auch seine Leidenschaft für die Menschen in Not aus. Und an Weihnachten beginnt der Weg der Verletzbarkeit Gottes, ein Weg, auf dem Gott sich dem Menschen vollständig ausliefert. Gott setzt sich mit einer erschreckenden Geduld dieser Welt aus. Alle drei Dimensionen der Passion haben in dem Kind in der Krippe ihren Ausgangspunkt.

Die schenkende weihnachtliche Großzügigkeit ist eine kleine menschliche Dankesgeste. Von der verletzlichen Liebe des menschensuchenden Gottes überwältigt, lassen wir uns zu starken und schwachen Gesten der Liebe verführen.

Und warum braucht es so viele Engel? Das Kind in der Krippe ist beides, ein Ereignis der Unscheinbarkeit und zugleich ein Ereignis von tatsächlich weltbewegender Bedeutung. Doch genau darin entzieht sich das rettende Kommen Gottes der menschlichen Entdeckerkunst. Die Weihnachtsfreude, die mit dem Christus in der Krippe verbunden ist, erfordert eine besondere, eine himmlische Mobilisierung. Sowohl die Festfreude wie auch die Gesten der Liebe benötigen aufklärende Hinweise, Engel, Sterne und Träume. Mit der sich dann einstellenden Verwunderung werden die Freude und das Lob entzündet. Himmlisch mobilisierte Menschen eilen zur Krippe.

Weihnachten ist aber auch eine nüchterne Erinnerung. Geburtlichkeit und Kindschaft, Natalität (H. Arendt) reichen nicht aus, um diese Welt in eine Wende zu führen. Der neue Anfang, der mit jedem Kind gemacht wird, kann die Welt nicht retten. Die biologischen und moralischen Kräfte der Regeneration dieser Schöpfung reichen nicht aus. Eine besondere schöpferische Initiative ist erforderlich. Gott selbst muss kommen und sich dieser Welt aussetzen. Gott selbst gönnt der Welt in Christus einen göttlichen Neuanfang. Christ der Retter ist da!

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