Predigt zu Lukas 16,19–31 – Das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus

Predigt Reicher Mann Armer Lazarus Krabbe

1. Sonntag nach Trinitatis
Eckartsweier, 22. Juni 2025
Lukas 16,19–31

Das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus

Von GOTT geliebte Mitchristen!

Fast sollte man meinen: »Was für ein schönes Märchen!« Wenn da nicht dieser Schluss der Geschichte wäre und so ein bestimmter Nachgeschmack …
Märchenhaft geht es schon zu: Ein Reicher, mit Purpur und Leinwand gekleidet, also mit dem Feinsten vom Feinen, das es damals gab. Dieser Reiche »lebte alle Tage herrlich und in Freuden!« Einfach paradiesisch! – Vor seinem Grundstück: der Arme, Lazarus, sein Name. Merkwürdig: er, der Arme, der am Boden Liegende, er erhält in dieser Geschichte einen Namen, der Reiche dagegen bleibt namenlos! Merkwürdig – das mag doch auffällig sein oder etwa nicht? – Hilflos, ohnmächtig, wie dieser Arme daliegt: allein die Hunde kümmerten sich um ihn und leckten in seinen Geschwüren! Widerlich, Ekel erregend, was da geschieht! Der Arme ist so schwach, dass er nicht einmal mehr die Hunde fortscheuchen kann: er ist ›vor die Hunde gekommen!‹ – Doch dann / schönstes Märchenmotiv: »Der Arme starb und ward getragen von den Engeln bis hinein in Abrahams Schoß!« Wer wünschte sich dieses nach seinem Erdentode nicht: »von den Engeln getragen zu werden bis hinein in Abrahams Schoß«?

›Dort oben im Himmel, dort wird entschädigt, wer hier auf Erden zu Schaden gekommen ist! Dort oben im Himmel geht es den hier auf Erden Armen gut, die Reichen auf Erden aber schmoren in der Hölle!‹ – So / in diesem Sinne dachte und glaubte man Jahrhunderte lang. Und dann war klar, wer ins Fegefeuer geriet. Die Armen hier auf Erden wurden aufs Himmelreich vertröstet, verschiedenste Pfarrer betrieben pure Jenseitsvertröstung und unterstützten damit die so genannte Bourgeoisie: dagegen machte ein Karl Marx deutlich Front! Doch wie oft ist er gerade auch in Kirchenkreisen gründlich missverstanden worden! Wie oft wurde er angegriffen, weil er es wagte, »Religion als Opium für das Volk« zu bezeichnen. Karl Marx zählte zu den notwendigen Störenfrieden, der den Finger in die Wunde legte und die pure Jenseitsvertröstung ebenso anprangerte wie die Ausbeutung des Menschen im Proletariat: Karl Marx protestiert zu Recht (!), wie unser Gleichnis nur bestätigt!

Lukas 16 wurde Jahrhunderte lang auf das bessere Jenseits hin missdeutet und missverstanden, damit bestimmte, oft zum Himmel schreiende Unrechts-verhältnisse hier auf Erden sanktioniert werden konnten – aber, liebe Leute: es geht ums Diesseits, um unser Leben hier, darum, wie ich hier auf Erden lebe, was ich hier tue, was ich lasse / es geht um die Frage, ob ich hier auf Erden GOTT ehre und meine Mitmenschen erfreue oder nicht! Hier auf Erden entscheidet sich, wo und wie ich meine Ewigkeit zubringe! Mein Leben, mein Verhalten hier auf Erden: mein Diesseits hier bestimmt mein Jenseits dort!

Jahrhunderte lang wurde dieses Gleichnis im Schwarz-weiß-Schema ausgelegt: hier der Reiche, dort der Arme. Womöglich gar wurde der Reiche zum Gottlosen gemacht und der Arme zum Frommen. Aber die tiefere Brisanz wurde damit aus diesem Gleichnis herausgenommen! Denn es will Missstände aufdecken und den Reichen sagen, was zu tun ist. Martin Luther konnte diese Geschichte sogar als »Droh-Evangelium« bezeichnen: den Reichen wird gedroht … Kann es das aber sein? Und würde damit überhaupt irgendetwas erreicht, geschweige denn zum Guten gewendet? Was denn erreicht der so genannte ›moralische Zeigefinger‹, der da drohen will – erreicht er überhaupt irgendetwas, wenn es ›da drinnen‹ nicht stimmt und wenn es an Einsicht fehlt?

Falsche Identifikationen zu diesem Gleichnis sind sicher fehl am Platze: wir sind in aller Regel weder der Lazarus noch der Reiche – und doch sei uns gesagt: Der Reichtum an sich ist überhaupt nicht das Problem. Das Problem ist das Herz des Menschen. Als problematisch erweist sich, dass der Reiche leider nur reich war / dass er zwar viel hatte, aber wenig war. Sein Leben ging auf im Bann / im Gefängnis seines Reichtums. Ohne es rechtzeitig zu merken, lebte er im ›goldenen Käfig‹ vor sich allein dahin und spürte gar nicht mehr, ›wie die Luft dünner wurde und stickiger.‹ Wie selbstverständlich ging der Reiche in seinem Wahn davon aus, dass der Reichtum auch seine Ewigkeit prägen müsse. Und so erlag er dem Glanz, dem Reichtum, dem Wohlstand, diesem gefährlichen Sog, der das Elend und die Armut anderer Menschen ausblendet – so verdrängte der Reiche, dass auch er sterben muss, dass der Tod sein glänzendes Purpurgewand hinwegnimmt / dass auch er, der Reiche, nichts mitnimmt / dass auch sein Leichenhemd keine Taschen hat! »Du Narr«, sagte Jesus in ähnlichem Zusammenhang an anderer Stelle. ›Du bedauernswerter, du bemitleidenswerter Reicher!‹

Noch einmal: Reichtum an sich ist im Grunde nicht das Problem. Reichtum ist eine gute Schöpfergabe Gottes – und: »Reichtum ist Verpflichtung!« Wer reich ist an Gütern und Gaben, der ist von Gott her dazu verpflichtet, diese Güter und Gaben einzusetzen zum Wohle und zur Freude seiner Mitmenschen! Die Frage also lautet: wie wir mit Reichtum umgehen und wie Reichtum mit uns umgeht, wie Reichtum uns innerlich verändert. »Was macht die Macht mit den Mächtigen«, ist zu fragen und: Was macht der Reichtum mit und aus den Reichen?
Wie viele Möglichkeiten kann ein Reicher nutzen, um Gutes zu tun / um Segensreiches zu wirken für seine Mitmenschen und für seine Nachwelt! Ich denke nicht nur daran, dass er mit seinem Kapital eine Stiftung einrichten könnte – oder daran, dass er eine großzügige Spende leistet!

Die Hölle, die der Reiche in unserem Gleichnis erlebt, erleben manche unserer Zeitgenossen ansatzweise schon hier auf Erden – heißt: manche bereiten sich und anderen ›die Hölle auf Erden‹. Davor aber will Jesu Gleichnis uns bewahren! Es will uns herzlich anleiten, anders zu leben, andere Impulse zu setzen, anders zu gewichten, nicht auf ›die falschen Pferde‹ zu setzen! Es will uns anleiten, die Augen nicht zu verschließen vor der Armut, vor dem Elend und der Not anderer Menschen! Es will uns anleiten, den Armen in unserer Nähe zu sehen: den einsamen Nachbarn, der auf ein freundliches Wort wartet – die Frau im Altersheim, die von niemandem besucht wird – den Jungen, der auf der Straße umherirrt und nicht weiß, was er mit sich anfangen soll … Den Armen in meiner Nähe entdecken: den verschämten Armen ebenso wie den armen Reichen: mit den Augen des Herzens sehen. Nicht von oben herab auf andere Menschen herabsehen / andere Menschen auch nicht übersehen – nein, mit den Augen des Herzens in den je einzelnen Mitmenschen tiefer hineinsehen und es wagen, ihn in Güte anzusprechen …

Diakonie ist angesagt, Nächstenliebe hier bei uns vor der Haustür. Diakonie ist nicht nur angesagt, wenn die jährliche Diakonie-Sammlung offiziell eröffnet wird. Gewiss, niemand von uns wird alles tun können, für alles sorgen, für alles und jeden spenden können – aber jeder von uns kann und soll von Gott her ganz Konkretes tun, und sei es, dass er sich um zwei ihm bisher fremde Mitmenschen in seiner Umgebung liebevoll kümmert – sei es, dass er sich um einen einzigen Angehörigen kümmert, ihn liebevoll pflegt. Möglichkeiten, Gutes zu tun und Gottes Güte weiterzutragen, solche Möglichkeiten gibt es für jeden von uns mehr als genug!

»Vater Abraham«, sagte der Reiche schließlich, »schick doch wenigstens den Lazarus, dass er meine fünf Brüder warnt …« Auffällig auch dies: Der Reiche kennt immerhin sogar den armen Lazarus mit Namen, er hätte also Bescheid wissen können, was zu tun ist – aber: er hat es nicht getan! – Abrahams Antwort auf die Bitte des Reichen für seine Brüder: »Sie haben Mose und die Propheten, die sollen sie hören …«

Mehr braucht´s nicht, und mehr gibt es auch nicht, auch für uns nicht. Keinen schlagkräftigen Beweis, keinen Lazarus, der mal so eben springt und schnell ›die Kohlen aus dem Feuer‹ holt – kein überwältigendes Wunder, nein, die Bibel allein und die Gebote Gottes, das muss reichen! Und wem das nicht reicht / wer daraufhin nicht zur Besinnung und zur Umkehr kommt, dem kann man nicht mehr helfen! Mit dem geht es ›bergab‹ …!

Ob die fünf Brüder sich überhaupt von einem Lazarus hätten beeindrucken lassen (?) / ob sie sich überhaupt auf das Zeugnis der Bibel eingelassen hätten: wer weiß … Wie gerne aber hätte der eine Reiche seine reichen Brüder und seine reichen Schwestern hier auf Erden noch rechtzeitig gewarnt! – Hören wir die konstruktiv-kritische, die wohlwollende Stimme? Hoffentlich hören wir Gottes Stimme, hoffentlich achten wir Sein Wort und Seinen Willen! Amen.

Pfarrer em. Dr. Hans-Gerd Krabbe

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