Ewiges Leben

Friedhof Mit Lichtern

Der Ewigkeitssonntag verweist am Ende des Kirchenjahres auf Gottes Verheißung des kommenden Lebens in seiner Gemeinschaft. Er bündelt die christliche Hoffnung auf die Auferweckung der Toten und die Vollendung der Schöpfung in Christus. Harald Knobloch entfaltet diese Hoffnung in seinem Beitrag aus biblisch-theologischer Perspektive.

Ewiges Leben – Ein alter Menschheitstraum in biblisch-theologischer Perspektive

I   Ein vitalistischer Traum?

Forever young
I want to be forever young

Do you really want to live forever?

Forever and ever

So besang die deutsche Synthie-Pop-Band Alphaville 1984 das Lebensgefühl der Jugendlichen inmitten der atomaren Bedrohung durch den Kalten Krieg. Was tun angesichts der stetig drohenden Auslöschung allen Lebens? Jetzt leben und das Leben genießen, nicht nur im Augenblick, sondern am besten ewig. Forever and ever.

Seit jeher träumen Menschen diesen Traum: den Traum vom ewigen Leben. Ewig leben, nicht sterben müssen. Ewig jung und schön sein. Dem Tod ein Schnippchen schlagen. Dies ist nicht nur zentraler Aspekt transhumanistischen Wunschdenkens im Blick auf die Fortentwicklung der Menschheit, sondern auch ein durchaus nachvollziehbarer vitalistischer Traum angesichts realer Todesdrohung im Zeitalter der Lebensgefahr.

Ewiges Leben. Nur ein vitalistisches Missverständnis? Oder doch konsistente und kontingenzwehrende Hoffnung des christlichen Glaubens? Gehen wir auf Spurensuche nach Antworten durch die Zeiten und Kulturen.

II   Das alte Ägypten: Leben im Kreise der Götter

Im Alten Ägypten war das Leben nach dem Tod das eigentliche Leben, in das der Tod nur ein Übergang ist. Der mumifizierte und verklärte Leib bewohnt weiterhin auf Erden das Grab. Die Seele geht über ins Jenseitsreich des Osiris. Die Unsterblichkeit der Seele wird im Totengericht von einer Prüfung abhängig gemacht. Das Herz des Menschen als Sitz des Wollens, Denkens und Fühlens wird gegen die als göttlich verehrte Ma’at abgewogen. Ma’at ist im Leben der Menschen das göttliche Prinzip der Solidarität, also eines Füreinander-Handelns, das Harmonie unter den Menschen erzeugt. Ma’at ist analog zur alttestamentlichen Weisheit (chokmah) die Wahrheit, die man sagt, und die Gerechtigkeit, die man tut. Sie ist im Totengericht das Kriterium, nach dem das menschliche Herz gewogen und beurteilt wird. Wort und Herz, Tat und Herz müssen übereinstimmen. Wiegt das Herz schwerer als die Ma’at, stirbt der Tote einen zweiten, endgültigen und ewigen Tod durch die Fresserin. Diese Scharfrichterin ist eine Chimäre mit Krokodilskopf, Löwenrumpf und Nilpferdhinterteil, die im Falle der Verurteilung den Schuldigen verschlingt und damit erst eigentlich tötet. Wiegt das Herz gleichviel wie die Ma’at oder ist es sogar leichter, darf der Tote im Kreise der Götter fortan ewig leben. Die Mumien sind heute noch stumme Zeugen dieses Glaubens auf ein ewiges Leben nach dem Tod.

III   Das antike Israel: Gemeinschaft mit Gott

Das Alte Israel hielt die Erinnerung an die Hoffnung auf ewiges Leben in seinem Schöpfungsmythos im ersten Buch Mose lebendig. In der biblischen Geschichte vom Sündenfall (Genesis 2,4–3,24) war für Adam und Eva der Zugang zur Quelle des ewigen Lebens zum Greifen nahe: der Baum des Lebens im Garten Eden. Durch den Ungehorsam gegenüber Gottes Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen, hatte der Mensch auch den Zugang zum Baum des ewigen Lebens verloren. Nach der Vertreibung aus dem Paradies wurde der Eingang zum ewigen Leben durch den Cherub mit seinem flammenden Schwert bewacht.

Das Hören auf die Stimme Gottes, die aus seinen Geboten spricht, hängt für das Alte Testament direkt zusammen mit der Entscheidung für Leben und Tod. Und diese Entscheidung hat jeder Mensch jetzt und heute, das heißt in seinem Leben und zu seiner Zeit zu treffen (vgl. Deuteronomium 30,15–18). Doch ist für das Alte Testament auch klar: Ewiges Leben kommt alleine Gott, nicht aber den sterblichen Menschen zu. Der Mensch gelangt durch seinen Tod in die Sheol, die Unterwelt. Es ist der Ort, wo es keine Gottesnähe und damit kein Heil gibt (vgl. Psalm 88,6–7). Erst später entstanden in der weisheitlichen und apokalyptischen Literatur der Hebräischen Bibel verschiedene Vorstellungen der Hoffnung auf eine dauerhafte Errettung vor dem Tod und damit auf eine nicht zerstörbare Gemeinschaft mit Gott.

IV   Jugendkultur: Unsterblicher Vampir

In der heutigen Jugendkultur finden sich deutliche Reflexe der Hoffnung auf ein ewiges Leben wieder. Das Grundmotiv des ewigen Lebens ist der rote Faden in den bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sehr beliebten Büchern von Stephanie Meyer und deren Verfilmungen: „Twilight – Bis(s) zum Morgengrauen“. Ein junges Mädchen, Bella, verliebt sich in einen wunderschönen, aber sonderbaren Jungen mit Namen Edward. Erst später erfährt sie, dass er ein Vampir ist. Der Archetyp für den Traum vom ewigen Leben in der New-Adult-Literatur ist der unsterbliche Vampir, der untote Nosferatu in Gestalt des ewig jungen, attraktiven und erotisch anziehenden Herzensbrechers. Sein unstillbarer Durst nach Blut ist der Preis, den er für die Ewigkeit zahlen muss. Ewiges Leben subsumiert hier die Gier nach Lebensessenz und den Konsum biologischen Lebens.

Eine Schülerin von mir kommentierte ein Gespräch über diese Bücher so: „Ach, ich wäre gerne wie Edward. Das wäre echt nice. Dann müsste ich nämlich nicht sterben und könnte ewig leben!“ Die Schülerin meint ein Leben, das nicht den Begebenheiten der Zeit und eines biologischen Alterungsprozesses ausgesetzt ist, der mit dem Tod endet. Ob sie die Konsequenzen dieser Existenzform auch wirklich zu Ende gedacht hat?

V   Platon: Unsterbliche Seele

Apropos unsterblich. In Platons Dialog Phaidon diskutiert der wegen Religionsfrevel und Verführung der Jugend zum Tode verurteilte Sokrates mit seinen Freunden über die Seele. Der platonische Sokrates nimmt dabei die Ideenlehre Platons zum Ausgangspunkt: Die präexistente, unsterbliche und unzerstörbare Seele hat das himmlische Reich der Ideen geschaut. Die Ideen besitzen als Urbilder aller Dinge eine eigene ontologische Existenz und sind dem Bereich des sinnlich Wahrnehmbaren übergeordnet. Wenn der Mensch sich also einen Holztisch mit vier Beinen ansieht, erkennt er die Idee, das Urbild des „Tisches“ darin, weil seine Seele diese Idee bereits geschaut hat. Deshalb ist die Erlangung von Erkenntnis und Wissen im Sinne Platons nichts anderes, „als sich später wiederzuerinnern, und das Lernen wäre eine Wiedererinnerung“ (Phaidon, 76a).

Doch nun ist die arme unsterbliche und unzerstörbare Seele als göttlicher Teil des Menschen in der Materie gefangen und erinnert sich kaum noch an das Geschaute. Der Leib wird so zum Grab der Seele abgewertet. Um die Seele wieder vollkommen zu sich kommen zu lassen, muss sie ihr körperliches Gefängnis abstreifen. Die Befreiung der Seele aus ihrem Grab erfolgt durch den Tod. Der Tod ist „wohl nichts anderes als die Trennung der Seele vom Körper“ (Phaidon, 64c). Das bedeutet aber keinen Freifahrtschein, um den Tod willkürlich und so schnell als möglich herbeizuführen. Das Leben bis zum Tod dient zur Erlangung von Erkenntnis durch Wiedererinnerung – bis die Seele zur reinen Erkenntnis gelangt durch die Trennung vom Leib.

Die Vorstellung einer unsterblichen Seele hat nicht nur auf das Neue Testament abgefärbt (vgl. 2. Korinther 5,1–3.8; Matthäus 10,28), sondern bescherte bis in die heute postmoderne Zeit hinein eine breite Rezeption des dualistischen Unsterblichkeitsgedankens der Seele auf Kosten der Leiblichkeit. Noch heute werden die Fenster im Zimmer eines Sterbenden geöffnet, damit die Seele gen Himmel entweichen kann.

Paulus betonte dagegen die Bedeutung der menschlichen Leiblichkeit für die Gottesbeziehung: „Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind?“ (1. Korinther 6,15) „Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist […]?“ (1. Korinther 6,19). Auch die Auferstehung der Toten ist für Paulus keine Alleinstellungsmerkmal der unsterblichen Seele, sondern betrifft den ganzen Menschen und ist untrennbar mit der Leiblichkeit verbunden: „Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib.“ (1. Korinther 15,44).

Die Frage nach dem ewigen Leben entscheidet sich demnach nicht an einer unsterblich gedachten oder geglaubten Seele. Ewiges Leben ist Herzenssache.

VI   Neues Testament: Gemeinschaft mit Christus

Das Neue Testament kennt zwei griechische Begriffe für Leben, nämlich bíos und zoë. Mit bíos wird all das Leben beschrieben, das im wahrsten Sinne biologisch ist. Es geht um den Bereich des Körperlichen, des Stofflichen und der materiellen Existenz. Deswegen kann Leben im Sinne von bíos auch Lebensunterhalt und Vermögen bedeuten. Und damit ist auch das Problem des Begriffes bíos benannt.

Wenn bíos alles Materielle, Lebendige bezeichnet, kann damit kein ewiges Leben gemeint sein. Denn alles was lebt und existiert, ist der Vergänglichkeit unterworfen. Wunschträume von ewiger Jugend, Schönheit und Unsterblichkeit gehören in diesen Bereich und werden dadurch entlarvt. Die Vergänglichkeit ist und bleibt die letzte Grenze für alles Materielle – besonders für den verletzlichen Menschen. Die Frage nach dem ewigen Leben ist also nicht die, wie man dem Tod entrinnen kann. Denn der Tod ist unvermeidbar. Er gehört zum „biologischen“ Leben dazu.

Und hier setzt der zweite Begriff für Leben im Neuen Testament an, das Wort zoë. zoë ist aus dem Wort Zoo geläufig. Bei zoë geht es im Gegensatz zu bíos nicht um den materiellen Bereich, sondern um den existenziellen Charakter des Lebens. Es geht um das Leben an sich, um ein sinnvolles, ein glückliches und erfülltes Leben, das unsere Existenz, unser Da-Sein betrifft. Nur mit diesem Begriff spricht die Bibel von einem ewigen Leben, also einem Leben, das das tägliche und materielle Leben transzendiert.

„Wer den Sohn hat, der hat das Leben.“ (1. Johannes 5,12). In der mystischen Sprache des ersten Johannesbriefes ist die Wendung „den Sohn haben“ Ausdruck der vollendeten Gemeinschaft mit Christus. Schon im Alten Testament wird diese Hoffnung auf eine dauerhafte Errettung vor dem Tod durch eine nicht zerstörbare Gemeinschaft mit Gott ausgedrückt. Diese Hoffnung findet in neutestamentlicher Perspektive ihr vollkommenes Ziel im Christusglauben.

VII   Luther: Christus im Herzen

Martin Luther hat diesen Glauben in das Zentrum seiner Theologie gestellt. Seiner Meinung nach ist schon jetzt und hier auf Erden der Zugang zum Heil und damit zum ewigen Leben möglich, und zwar durch den Glauben, der Christus ergreift (fides apprehensiva Christi). Indem der Glaubende auf Christi Wort hört und darauf vertraut, dass es für ihn wahr ist, wird das Wort Gottes zu einem Bestandteil seines Wesens. Christus, der den Tod besiegt hat, zieht in das gläubige Herz ein. Genau dort, wo der Sitz unseres Denkens, Wollens und Fühlens ist, nimmt Christus seinen Sitz ein. Die Lutherrose ziert im Zentrum ein rotes Herz, dem ein schwarzes Kreuz als Zeichen für Christus innewohnt. Im Modus des ergreifenden Glaubens kann ein Mensch Christus „haben“. Und wer ihn hat, der hat das ewige Leben.

VIII   Ewigkeitssonntag: Hoffnung für Lebende und Sterbende

Ewiges Leben hat im christlichen Glauben klare Konturen. Es ist ein von Gottes Wort erfülltes Leben, ein nach Christus greifender Glaube. Keine Spekulation, kein Wunschtraum, sondern reale Hoffnung. Ewiges Leben ist Gemeinschaft mit Gott, schon hier in diesem Leben. Diese Gemeinschaft wird aber erst dann vollkommen sein, wenn die Menschen durch den transformativen Prozess des Sterbens hindurch gegangen sein und durch die Auferstehung vollendet werden: in völligem Einssein mit Gott, frei von Schuld, frei von Eigenliebe, frei von Schmerzen und Leid, frei von allem, was den Menschen in der Sphäre des Todes gefangen hält.

Das Kirchenjahr greift diese Dynamik von Tod und ewigen Leben als Hoffnung für Lebende und Sterbende liturgisch auf: mit dem Ewigkeitssonntag, dem Sonntag vom Jüngsten Tag. So eröffnet das Kirchenjahr einen Ausblick auf die Ewigkeit, die von Gott her auf uns zukommt. Und obwohl der preußische König Wilhelm III. 1816 per Kabinettsorder diesen Sonntag als Kirchenfest zur Erinnerung an die „gefallenen“ Toten (Totensonntag) bestimmte, haben die Kirchen stets am Proprium des Ewigkeitssonntags festgehalten und die Verlesung der Namen der Verstorbenen an diesem Tage mit Blick auf die Auferstehungshoffnung eingeführt. Mit seinem Tod und seiner Auferstehung bezeugt Christus für uns, dass der Tod besiegt ist und wir in Gemeinschaft mit ihm leben: ewiges Leben in Christus. Leben in alle Ewigkeit.

Christus spricht:
„Wer mein Wort hält, der wird den Tod nicht sehen in Ewigkeit.“ (Johannes 8,51)

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