Gedanken zum Buß- und Bettag
„Buße“ klingt nach Strafe und Reue, doch in der Bibel meint sie weit mehr: Umkehr, Sinneswandel und Neubeginn. Volker A. Lehnert beleuchtet die unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs – vom Bußgeld über die Beichte bis zur geistlichen Erneuerung – und zeigt, worin der eigentliche Sinn des Buß- und Bettags liegt: im Mut, das Leben zu ändern und neu auszurichten.
Der Begriff der „Buße“ klingt einerseits verstaubt, andererseits ist er in unserer Sprache durchaus gegenwärtig. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen:
1. „Buße“ als Rechtsbegriff
In der Rechtssprache bezeichnet „Buße“ einen Ausgleich, den jemand für eine Ordnungswidrigkeit oder eine Rechtsverletzung zu zahlen hat. So gibt es etwa im Verkehrsrecht einen „Bußgeldkatalog“, in dem genau festgelegt wird, welches „Bußgeld“ für welches Vergehen zu bezahlen ist. Falschparken und geringfügige Geschwindigkeitsübertretungen gehören dabei zu der harmloseren „Bußpraxis“. Die Bußgeldzahlung als finanzielle Bußpraxis fungiert dabei als Freikauf, gewissermaßen als Ablass, als Erlass weiterer Sanktionen. Mit der Zahlung ist das entsprechende Vergehen kompensiert, gleichsam vergeben und vergessen. Mit weiteren Konsequenzen ist nicht mehr zu rechnen.
Im Ablasshandel, an dem sich die Reformation entzündet hat, wurde diese Logik sakral ausgeschlachtet als effektive Geschäftsidee zur Steigerung kirchlicher Einnahmen. In der Gegenwart begegnet diese Logik immer noch, beispielsweise im Sich-Freikaufen-Können durch CO₂-Zertifikate…
2. „Buße“ in unserer Umgangssprache
„Das sollst du mir büßen“ ist ein Ausspruch, den man nach Verletzungen oder nach vermeintlicher Ungerechtigkeit hören kann. Jemand kündigt Vergeltung an, will jemandem etwas heimzahlen. Die Formulierung stellt die erste Planungsstufe der sogenannten „Retourkutsche“ dar. Rachelust lässt grüßen.
Eine weitere umgangssprachliche Figur lautet: „Das muss ich wieder büßen“. Dies ist zu hören, wenn jemand am Tag nach einem üppigen Essen die Waage besteigt. Oder wenn sich nach einer durchzechten Nacht der berüchtigte Kater bemerkbar macht.
Auch der altbackene Spruch „Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort“ gehört sachlich in diesen Zusammenhang. Dahinter steht die Logik eines mehr oder weniger monokausalen Tun-Ergehen-Zusammenhangs, der religiösen Überzeugung, dass mein Erleben immer eine direkte Folge meines eigenen Verhaltens ist. „Womit habe ich das verdient?“ ist eine beliebte Variante dieser Logik.
3. „Buße“ im Kontext von Religion
Im katholischen Bereich gibt es die „Bußübung“, die jemandem auferlegt wird oder die Menschen sich selbst auferlegen, im Mittelalter sogar bis zur Gestalt der Selbstgeißelung. In diesem Zusammenhang kennen wir den Ausdruck in Sack und Asche gehen. Die körperliche Selbstbestrafung stellte den verzweifelten Versuch dar, gewissermaßen Teile des ‚Jüngsten Gerichts‘ proleptisch vorwegzunehmen, um das jenseitige Strafmaß vorbeugend zu reduzieren.
Im katholisch-kultischen Bereich gibt es das „Bußsakrament“, Beichte und Absolution. In diesem Kontext hat „Buße“ eine doppelsinnige positive Bedeutung: Einerseits bezeichnet das Wort „Reue“, „Einsicht“ und „Schuldgeständnis“ und andererseits, im Sinne der auferlegten „Bußleistungen“, einen konkreten Weg, sich seiner Schuld zu entledigen. Die Absolution ist nichts anderes als ein Freispruch bzw. eine Tilgung einer begangenen schuldhaften Tat (vgl. Johannes 20,23).
Für den evangelischen Bereich wollte Martin Luther das Bußsakrament lange als drittes evangelisches Sakrament beibehalten, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass nicht der schuldige Mensch Bußleistungen zu erbringen hatte, sondern diese durch den unschuldigen Christus schon längst erbracht worden sind (vgl. 2. Korinther 5,21) und uns in der Absolution quasi gutgeschrieben werden. Als „Fröhlichen Tausch“ hat Luther dies bezeichnet.
Im pietistischen Bereich bezeichnet „Buße“ meist einen emotionalen Gewissenszerbruch, Reue, die aus einer inneren Zerknirschung, in gewissem Sinne einer psychischen Selbstanklage resultiert. Als Referenztexte hierfür gelten etwa die „Bußpsalmen“ (vgl. Psalm 32).
„Buße“ und „Buße“ bezeichnen somit im deutschen Sprachspiel mehr als dreierlei und es ist von daher kaum verwunderlich, dass die Assoziationen zu einem Terminus wie „Buß- und Bettag“ so vielgestaltig sein können, dass er nahezu nichtssagend wird.
Was ist von der Bibel her zum Thema „Buße“ zu sagen?
Im Neuen Testament finden sich im Wesentlichen zwei Verben, die im Deutschen mit „büßen“ übersetzt worden sind:
- epistrepho = wörtlich eigentlich: „umkehren“
- metanoeo = wörtlich eigentlich: „seinen Sinn ändern“
Beide Vokabeln beinhalten gerade nicht das „Bußgeld-“ oder „Sack-und-Asche-Moment“, beinhalten gerade nicht das emotionale „innerlich zerknirscht sein“ oder „vom schlechten Gewissen geplagt werden“. Dafür gibt es zwar im Griechischen auch ein Wort: metamelomai, aber dieses kommt im Neuen Testament bezeichnenderweise nur ganz selten vor!
epistrepho = umkehren:
Der „Friede“, den die Jünger Jesu in ein Haus bringen sollen, kann sich von dort „abwenden“ / „umkehren“ (epistrepho), wenn das Haus es nicht wert ist (vgl. Matthäus 10,13). Er spürt sozusagen, ob er willkommen ist. Falls nicht, zieht er sich von sich aus zurück. Er verhält sich somit gerade nicht allen Menschen gegenüber gleich, sondern ‚wittert‘, wo er überhaupt eine Chance hat. Gott drängt sich nicht auf. Wo er unerwünscht ist, zieht er sich offensichtlich zurück.
Auch im Kontext der Jüngerberufung findet sich die Terminologie. Menschen, die Jesus gefunden haben – oder besser: von ihm gefunden worden sind –, kehren um und folgen ihm (vgl. Johannes 1,35–51). Sie ändern ihre Lebensrichtung und ihre Lebensprioritäten: „Sie verließen alles und folgten ihm nach“ (Lukas 5,11). Oder der Sache nach auch die Erzählung vom Schatz im Acker: Einer „verkauft alles, was er hat, und kaufte den Acker“ (Matthäus 13,44).
metanoeo = seinen Sinn ändern:
Am Anfang des Markusevangeliums beginnt Jesus sein öffentliches Wirken mit dem Ruf: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Ändert euren Sinn und glaubt an das Evangelium“ (Markus 1,15). Gott möchte offensichtlich eine nachhaltige Änderung im Betriebssystem des Menschen bewirken. Wir sollen uns prägen lassen von der Logik und den Maßstäben des Reiches Gottes. Wir sollen so werden, wie wir wären, wenn wir bereits in Gottes erwarteter Neuschöpfung leben würden. Paulus kategorisiert das unter der Rubrik „Frucht des Geistes“ (Galater 5,22–23), die reformierte Tradition unter der Rubrik „Erneuerung zum Ebenbild Gottes“ (Heidelberger Katechismus Frage 115; vgl. Römer 8,29).
Ein Beispiel für solche Erneuerung finden wir in der Erzählung von Zachäus (Lukas 19,1–10). Der Kollaborateur mit der römischen Besatzung Israels wird durch die Begegnung mit Jesus Christus zu einem neuen Menschen, der alles ergaunerte Geld vierfach zurückgibt. So muss das sein. Solches Neuwerden ist „Buße“ im Sinne Jesu.
Ein weiteres eindrückliches Beispiel für Erneuerung finden wir in der Berufung des Paulus (Apostelgeschichte 9). Keine pietistische Gewissenszerknirschung, sondern – ganz im Gegenteil – sein großer Stolz auf seine religiöse Bilanz (vgl. Philipper 3,4–7) wird durch den Auferstandenen transformiert. Paulus „bekehrt“ sich nicht, er wird vom erhöhten Jesus regelrecht überwunden. Seine Neuwerdung spiegelt sich in seiner Tauftheologie – er wird mit Christus „in den Tod“ geführt und mit Christus „in einem neuen Leben wandeln“ (Römer 6,3–4) – und in seiner Ethik: „Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern lasst euch umgestalten (metamorphoo = umgestalten) … auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene“ (Römer 12,2).
Das ist es, worum es am sogenannten Bußtag gehen sollte! Es geht um den Ruf zur Umkehr, zum Glauben, zur Nachfolge Jesu und zur Neuausrichtung von Denken und Leben. Das ist es, was „Freude im Himmel“ (vgl. Lukas 15,7.10.32) auslöst: wenn Menschen den Weg zu Jesus Christus finden oder sich von ihm finden lassen (vgl. Johannes 1,15–51)! In der stetigen Ausrichtung dieses Rufes besteht die vornehmste Aufgabe der Kirche (vgl. 2. Korinther 5,20; Römer 10,14–15). Alles andere kommt immer erst danach.
