Forum Kirche und Theologie:
Kontroverses
Pfr. Dr. Rüdiger Gebhardt
Vom Innehalten zur Bewegung – Himmelfahrt und Pfingsten im Rhythmus Gottes
Von Advent und Weihnachten lassen sich nicht wenige Zeitgenossen noch irgendwie berühren. Karfreitag und Ostern überfordern den modernen Menschen schon eher. Und spätestens bei Himmelfahrt und Pfingsten hört alles auf! Oder?
Bei genauerem Hinsehen legen alle drei Festzyklen etwas vom geheimnisvollen göttlichen Rhythmus offen. Wie das? Gott handelt nicht durchgehend erkennbar. Er spricht auch nicht permanent oder antwortet immer prompt. Sondern oft beginnt alles mit Schweigen, mit einer Leerstelle oder Pause. Und doch führt solches Innehalten nicht zum Stillstand, sondern zu Bewegung. Gott schweigt. Gott spricht. Gott bringt in Bewegung. Diesem Dreier-Takt fehlt allerdings die Leichtigkeit eines Walzers, denn er beginnt mit einer Pause, mit Stille, Schweigen oder Warten. Das ist nicht immer leicht auszuhalten.
Der göttliche Dreiertakt im Kirchenjahr
In diesem Dreiertakt, der aus der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel schon bekannt ist, vollzieht sich nun auch der christliche Festkreis: Der Advent steht für das Warten, das zunehmende Licht, das auf Gottes Nähe hoffen lässt. Weihnachten dann für Gottes Kommen in die Welt, sein Wort in einem Kind, die Botschaft: „Euch ist heute der Heiland geboren!“ Diese Botschaft aber setzt in Bewegung – erst Hirten und Weise, später Anhängerinnen und Nachfolger.
Der göttliche Dreiertakt setzt sich fort: Die Zeit der Passion als Mit-Leiden und Mit-Wachen und -Beten, das Schweigen des Todes und die Grabesstille, endlich die erlösende Osterfreude: „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Und diese Osterfreude bringt wiederum in Bewegung – dieses Mal zuerst Frauen, dann die Apostel.
Schließlich nehmen Himmelfahrt und Pfingsten diesen Rhythmus auf und führen ihn weiter, wieder im bekannten Dreiertakt: So schön die neu gewonnene Gemeinschaft mit dem Auferstandenen war, so rätselhaft und schmerzhaft ist der Entzug dieser Gemeinschaft durch die Himmelfahrt. Zehn Tage Christusferne und Gottesschweigen, Rückzug ins „Obergemach des Hauses, wo sie sich aufzuhalten pflegten“ (Apg 1,13). Erst im Pfingstgeschehen zeigt sich Gott wieder. Er kommt den Jüngern nahe durch seinen Geist. Das bringt sie überraschend wieder in Bewegung – und zwar zu einer Bewegung, die zur Kirche führt.
Himmelfahrt und Pfingsten – Entzug, Gottesnähe, Bewegung
Auch hier sehen wir also den göttlichen Dreiertakt. Zunächst der Entzug und das Innehalten: Der leibliche Jesus entzieht sich. Eine Wolke nimmt ihn auf. Die Jünger schauen ihm staunend hinterher. Der Auferstandene, der mit ihnen gesprochen und gegessen hat, ist fort. Nicht tot, aber auch nicht mehr greifbar. Es ist nicht die Grabesstille, aber die Stille der Unsicherheit: Was bleibt noch? Was kommt?
Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten liegt eine Schwebezeit, vergleichbar der Stille zwischen Karfreitag und Ostern. Zehn Kar-Samstage sozusagen. Geistliches Vakuum: Keine Erscheinung, keine Stimme, kein Auftrag – nur Erinnerung, Gebet, gemeinsames Ausharren.
Solche Zwischenzeiten und Zwischenräume sind weder nebensächlich noch entbehrlich. Sie sind „Verzögerungen der Gnade“ (Günter Thomas) und zugleich Resonanzraum des Glaubens. Sie sind Momente, in denen Gott sich offenbar dem Zugriff entzieht, um neuen Raum für Vertrauen zu schaffen. Was als Mangel oder Not erlebt wird, ist nicht selten das Vorzeichen einer neuen Form von göttlicher Nähe – die Wüste, die durchwandert werden muss, um Gott zu begegnen.
Anders gesagt: „Christus ist gen Himmel gefahren, aber bleibt bei uns – nicht sichtbar, aber gegenwärtig.“ (Martin Luther). Paradox, aber wahr. Gerade der Entzug Christi aus Raum (Palästina) und Zeit (vor 2000 Jahren) ermöglicht die „universale Christusgegenwart“ (Wilfried Härle). Der Entzug ist also nicht das Ende, sondern der Anfang einer neuen Form der Nähe, die sich im Pfingstgeschehen realisiert. Apostelgeschichte 1 und 2, Himmelfahrt und Pfingsten, gehören deshalb zusammen.
Die Pfingstgeschichte erzählt nun aber kein bloßes Wiederauftauchen Jesu, sondern sie erzählt – vergleichbar mit der Weihnachts- und der Ostererzählung – den Anfang von etwas ganz Neuem. Ein Brausen! Der Geist Gottes erfüllt den Raum, erfüllt die Menschen, erfüllt die Sprache. Und mit einem Mal ist Bewegung da: Predigt, Gemeinschaft, Aufbruch.
Der Geist ist dabei nicht bloß ein Ersatz für den abwesenden Christus – er ist die Weise, wie Christus nun gegenwärtig ist. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die „personale Fortsetzung der Christusnähe“ im Modus des Geistes (Ulrich Körtner). Was in der Stille begonnen hat, wird zur Bewegung. Aus einem verunsicherten Haufen wird eine Gemeinde mit Ausstrahlung in Jerusalem und von da aus schließlich eine weltweite Gemeinschaft, die Kirche Jesu Christi. Aus dem Innehalten kommt eine überraschende neue Gottesnähe. Und die bringt Menschen in Bewegung.
Weit mehr als “noch zwei Feiertage”!
Himmelfahrt und Pfingsten sind insofern keine Randfeste. Schon gar nicht kann man sich damit zufriedengeben, dass sie aus wirtschaftlichen Gründen zunehmend zur Disposition gestellt werden, „weil ja eh niemand mehr etwas mit ihnen anfangen kann“. Nicht weniger anschaulich als Weihnachten und Ostern erzählen sie vom Rhythmus des göttlichen Wirkens.
Himmelfahrt: der Anlass zum Innehalten.
Pfingsten: der Aufbruch zur Bewegung.
Dazwischen: der Raum, in dem Glaube wachsen kann.
Die beiden Feste machen anschaulich, dass Gottes Nähe oft verborgen, mitten im Empfinden seiner Ferne spürbar wird. Dass sein Wort nicht laut sein muss, um wahr zu sein. Und dass seine Bewegung nicht mit Macht beginnt, sondern mit Offenheit.
Kirche aus dem Geist – oder gar nicht
In einer Zeit, in der Gottes Schweigen beklagt, als Zeichen seines Nichtseins interpretiert oder nicht einmal mehr bemerkt wird, geben Himmelfahrt und Pfingsten zu erkennen: Gott beginnt gerade dort zu wirken, wo wir nicht mehr damit rechnen – und loslassen.
Kirche wird dort lebendig, wo sie nicht aus Gewohnheit spricht, sondern aus empfangener Bewegung. Alles beginnt mit dem Innehalten – alles Wesentliche wächst daraus.
Oder noch einmal mit Martin Luther: „Wo der Heilige Geist ist, da ist auch Christus, da ist auch Kirche.“ Und umgekehrt: Kirche ist da, wo Christus ist, wo der Heilige ist – und sie in Bewegung bringt. Oder sie ist nicht.
Pfr. Dr. Rüdiger Gebhardt