Kirchenjahr

Gottfried Claß


Eine kleine Theologie der Auferstehung anlässlich des Osterfestes 2025


Vorbemerkung: Wir leben in Zeiten gewaltiger Umbrüche. Das spüren wir durch alle Generationen hindurch. Auch unsere Kirche ist davon betroffen. Organisatorische Um- und Rückbauten aller Orten. Das Ende der Volkskirche, mit der wir groß geworden sind, zeichnet sich ab. Die vielen Krisen und bedrohlichen Entwicklungen, mit denen wir bald täglich konfrontiert werden, machen uns mürbe. Unsere kleine menschliche Hoffnung steht oft ziemlich zerzaust da. Denn wie schwer ist es, für eine verkehrte Welt weiter zu hoffen. Kein Wunder, dass viele Menschen sich abschotten: „Ich kann all die Horrornachrichten nicht mehr hören…!“.


Umso mehr sind wir als Kirche der Welt und uns selbst die Hoffnung schuldig, die Gott mit der Auferweckung Jesu vom Tod aufgerichtet hat. Ostern ist der Anker unseres Glaubens. Es ist diese österliche Hoffnung, die uns bewahren kann, in den Zynismus oder in das eigene private Glück zu flüchten.


Dieser österlichen Hoffnung wollen wir im Folgenden weiter auf die Spur kommen.



Warum eigentlich wird Gott Mensch?
Beginnen wir beim Ausgangspunkt: Warum eigentlich wird Gott Mensch? Auch die griechischen Götter haben ja von Zeit zu Zeit den Olymp verlassen und sich unter die Menschen gemischt. Was trieb sie dazu? Neugier – Langeweile – die Lust, Chaos zu stiften – Eifersucht. Sie wollen aus einer Laune heraus im Treiben der Menschen mitspielen…
Das Motiv des biblischen Gottes ist ein ganz anderes. Gott sieht, wie diese Welt von Gewalt durchsetzt ist. Das berührt ihn zutiefst. Er will sie vor der Zerstörung und Selbstzerstörung bewahren. Durch eine Praxis der Liebe und leidenschaftlichen Fürsorge. Darum ergreift er die Initiative – und wird Mensch. Darum setzt er sich den Risiken einer feindlichen Schöpfung aus. Diese ganz und gar nicht gütige, sondern letztlich tief friedlose Welt wird zum Ort der intensiven Gottesgegenwart. Paul Gerhardt hat es in einem seiner Adventslieder unüberbietbar eindrucksvoll auf den Punkt gebracht (EG 11,5): Nichts, nicht hat dich getrieben zu mir vom Himmelszelt als das geliebte Lieben, damit du alle Welt in ihren tausend Plagen und großen Jammerlast, die kein Mund aussagen, so fest umfangen hast. Das Kind in der Krippe wird zum Zeichen einer radikalen göttlichen Anfänglichkeit inmitten des Alten, einer großen Wende der Welt, die hier schon einsetzt. Aber Jesus trifft von Beginn an auf Ablehnung und Feindseligkeit. Sein Leben ist von Anfang an bedroht. Das zeigt sich schon in den Geburtsgeschichten. „Am Anfang der Stall – am Ende der Galgen“, so hat Walter Jens seine Übersetzung des Matthäusevangeliums überschrieben.


Die Fragen, die Jesu Tod am Kreuz aufwirft
Jesu Tod am Kreuz wirft drei drängende Frage auf:


a) Bedeutet Jesu gewaltsamer Tod das Scheitern Gottes?
War seine Liebe zu schwach für diese von Gewalt durchsetzte Welt? Offenbart der Karfreitag die Tragik Gottes? Er wollte das Böse mit Gutem überwinden – ist jetzt das Umgekehrte passiert, dass Gott von den zerstörerischen Kräften überwältigt worden ist? Die erste Frage betrifft also Gott selbst, seine Macht und Ohnmacht.

b) Kündigt Gott seine Beziehung zur „Welt“, zu den Menschen nun auf?
Er hätte ja allen Grund zu sagen: „Ihr seid für mich gestorben. Mein Bund mit euch ist hinfällig. Mit euch will ich nichts mehr zu tun haben.“ Was wird aus Gottes Liebe, nachdem die Welt Jesus so übel mitgespielt hat? Schlägt diese nun um in Gleichgültigkeit oder Feindschaft? Die zweite Frage betrifft also Gottes Verhältnis zu seinen Menschen, seiner Schöpfung. 

c) Was wird aus Gottes Versprechen einer neuen Welt? 
Er gibt in Jesu Leben dieser Schöpfung das Versprechen einer neuen Welt. Das Kind im Stall macht den Anfang. In Jesu Wirken und Worten, in seinen Wundern und Gleichnissen ist Gottes neue Welt schon zeichenhaft gegenwärtig. „Siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch!“ Ist diese Hoffnung nun zunichte? Zerschellt in der Katastrophe des Karfreitags? In den synoptischen Passionsgeschichten wird vom Aufkommen der Finsternis mitten am Tag erzählt (Mt 27,45; Mk 15,33; Lk 24,44f.). Dieses Motiv deutet den Tod Jesu als Krise von kosmischer Dimension. Als Jesus stirbt, scheinen die Chaosmächte die ganze Schöpfung (Himmel und Erde) wieder in ihre Gewalt gebracht zu haben. Ist Gottes Projekt einer neuen Welt erledigt oder wird er sich trotzdem durchsetzen und seine Schöpfung zum Ziel führen? 

Die Auferweckung Jesu vom Tod als Gottes schöpferische Antwort
Die Auferweckung Jesu vom Tod ist Gottes schöpferische Antwort auf diese Fragen. Sie muss in deren Kontext gesehen und verstanden werden.

  1. Gott handelt in der Auferweckung Jesu jenseits der Alternative von hilfloser Ohnmacht und vernichtender Allmacht
    In Jesu Tod und Auferstehung setzt sich Gott mit dem Bösen auseinander. Zunächst zeigt sich in Jesu Tod am Kreuz, wie tief diese Welt in das Böse verstrickt ist. Es sind ja nicht die notorisch Bösen, die Jesu Verurteilung und Hinrichtung mit aller Macht betreiben.
    Sondern ausgerechnet die Kräfte in der Gesellschaft, von denen wir erwarten, dass sie dem Guten und Humanen und der Wahrheit dienen: die Vertreter von Politik, Recht, Religion und öffentlicher Meinung. Das ist verstörend und hoch aktuell, wenn wir an die Vorgänge in den USA denken. Und die Anhänger Jesu selbst geben ein jämmerliches Bild ab. So enthüllt das Kreuz das Wesen dieser Welt, nämlich ihre Gottlosigkeit: sie will Gott los sein. Diese Mächte des Bösen und der Gewalt scheinen am Karfreitag zu triumphieren.
    Aber Gott reagiert und lässt ihnen nicht den Sieg. Die Auferweckung Jesu vom Tod ist Gottes äußerst entschlossene Antwort auf Jesu gewaltsamen Tod und die ganzen zwielichtigen Prozesse, die zu seiner Verurteilung und Hinrichtung geführt haben. Sie ist auch ein Gericht über die Mächte des Bösen.

    Doch wie überwindet Gott die tödlich und böse handelnden Kräfte? Er hätte ja nach dem Modell der Sintflut-Geschichte reagieren können: ein Strafgericht vollziehen und die bösen Menschen einfach auslöschen. Aber Gott nimmt keine blutige Rache an den Mördern Jesu.
    Seine Macht zeigt sich nicht als vernichtende Allmacht. Er hätte das tun können, aber damit hätte er sich vom Weg Jesu der leidenschaftlichen Liebe und des Erbarmens abgewandt. Ein Widerspruch in Gott hätte sich aufgetan.

    Aber Gott ist auch mehr als ohnmächtige Liebe. Nicht selten wird Gott in der Verkündigung auf den ohnmächtig liebenden und mitleidenden Begleiter reduziert. Das ist zu wenig! Damit ist der Zusammenhang von Kreuz und Auferstehung preisgegeben. Von einem solchen Gott ist letztlich keine Rettung zu erwarten. Als sich die einflussreichen Kräfte dieser Welt zusammenschließen, um den Sohn Gottes zu töten, da interveniert Gott – ohne die Liebe zu verraten. Gottes Macht zeigt sich in ihrer unglaublichen Kreativität. „Gott spielt eine Möglichkeit ein, die im Katalog menschlicher Möglichkeiten nicht existiert“ (Günter Thomas). Er schenkt in der Kraft seines Geistes dem toten Jesus neues Leben. Allerdings nicht sterbliches Leben, das den Tod wieder vor sich hat. Sondern Leben von ganz neuer Güte und Qualität.

  2. Gott versöhnt die Welt mit sich
    Indem Gott Jesus vom Tod auferweckt, stellt er sich voll und ganz hinter ihn. Was Gott einst bei der Taufe über ihm ausgerufen hat, bestätigt er am Ostermorgen in nicht zu überbietender Eindeutigkeit:
    „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“
    Die Worte und Taten des irdischen Jesus werden nicht nachträglich - wegen Erfolglosigkeit - in Zweifel gezogen, sondern voll und ganz bejaht. Ostern wird zur triumphalen Bestätigung Jesu.

    Mit seinem vollen Ja zu Jesus und dessen Weg besiegelt Gott auch seine tiefste Solidarität mit dieser Welt und ihren Menschen. Er lässt sich durch die erbitterte Feindschaft der Menschen nicht selbst in Ablehnung und Feindschaft hineindrängen. Im Klartext: Seine Liebe erweist sich als Feindesliebe. Paulus formuliert das im Römerbrief unmissverständlich:
    „Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, um wieviel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind.“ Römer 5,10). Gott versöhnt die Welt mit sich. Er antwortet auf das Nein der Menschen nicht seinerseits mit einem Nein. Er gibt diese Welt nicht verloren. Er hält an seiner Treue zu seinen Menschen fest. Trotz ihres Willens zur Gottlosigkeit wird diese Welt Gott nicht los. 

  3. In Jesu Auferweckung fängt Gottes neue Schöpfung an
    Die Zeitangaben in den Ostererzählungen sind wichtig. Denn sie machen den Lesern klar: Jetzt beginnt eine neue Zeit. Das lässt sich exemplarisch an der Ostergeschichte des Matthäus verdeutlichen. Sie beginnt so: „
    Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach…“ (Mt 28,1). Der Sabbat ist Höhepunkt und Abschluss der ersten Schöpfung. Und nun sagt Matthäus zu den Lesern: „Seht her, was am Tag nach dem Sabbat geschieht: ein neuer Schöpfungsmorgen, nichts weniger! In der Auferweckung Jesu kommt Gottes neue Schöpfung kommt zum Vorschein. Sie stellt alles Bisherige in den Schatten.“
    Kein Wunder, dass in der matthäischen Ostererzählung die Erde bebt (Mt 28,2). Das sind Geburtswehen. An Ostern wird eine neue Welt geboren. Eine Welt, die nicht mehr unter der Macht von Gewalt und Tod steht. So wird an jenem Ostermorgen das ganze Gefüge dieser Welt erschüttert. Der Schock und das Entsetzen der Frauen spiegeln das wider.
    Diese neue Welt leuchtet in der Auferweckung Jesu von den Toten auf – als Anfang und als Versprechen Gottes.

    Die erste Schöpfung ist gut, aber nicht vollkommen. Ihre Stabilität und Wohlordnung sind fragil. Sie ist - und bleibt! - stets gefährdet durch einbrechendes Chaos. Das hat uns die Corona-Pandemie massiv vor Augen geführt. Die Eigenkräfte der Natur können auch tödliche Gefährdungen freisetzen. Und immer wieder sind Menschen und von Menschen gemachte Verhältnisse die Treiber von Chaos und Zerstörung, wie die brodelnden Konfliktherde in der Welt, insbesondere der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, zeigen.
    Mit der Auferweckung Jesu von den Toten verspricht Gott dieser Welt, dass sie ihn als heilvoll-schöpferische Zukunftsmacht erfahren wird. Er gibt ihr das Versprechen, dass er sich ihr noch einmal neuschöpferisch zuwenden wird, um einen neuen Himmel und eine neue Erde zu schaffen: eine Welt ohne Krankheit und Krieg, ohne Elendsschreie und Tod, ohne Dummheit und Böses, ohne Unglück und Naturkatastrophen. Das ist der Kern der christlichen Auferstehungshoffnung. Ein Glaubensbekenntnis aus unseren Tagen bringt es so auf den Punkt:
    „Überrascht. Ich glaube an einen Gott, der uns noch einmal überraschen wird. Gott wird diese alte, geschundene Schöpfung erneuern und diese zerbrochene Menschheit heilen. Das letzte Kapitel ist noch nicht geschrieben – und wenn es einmal soweit ist, dann wird sich zeigen, dass es zugleich das erste Kapitel einer neuen Geschichte ist, die Gott mit uns beginnt…“ 1 (Manuel Schmidt).

    Es gibt eine Nahtstelle zwischen bisheriger und neuer Schöpfung. Das ist in den Evangelien die Tradition von der Auffindung des leeren Grabes Jesu. Als von den Toten Auferstandener ist Jesus weder in dem Grab geblieben, in das sie ihn gelegt hatten, noch auch in seine alte Leiblichkeit zurückgekehrt2. Vielmehr wird Jesu ins Grab gelegter Leib in das Geschehen der Verwandlung mit einbezogen. Das hat hohe theologische Aussagekraft.3 Wenn Gott sich dem toten Jesus neuschöpferisch zuwendet, dann nimmt er die bisherige Schöpfung auf und verwandelt sie tiefgreifend. Aber er vernichtet nicht seine Schöpfung. So radikal diese Verwandlung sein wird, so gefährdet sie nicht Gottes Treue zu seiner Schöpfung. Darum hoffen Christen auf eine Erlösung, die diese Welt nicht verrät. Im Gegenteil, Gottes neue Schöpfung wirkt schon hier und heute in Zeit, Raum und Geschichte hinein.



Anhang:

Kurzer Exkurs zur Frage nach der Historizität der Auferstehung Jesu


Diese Frage löst immer wieder heftige Debatten aus. Was wollen wir damit eigentlich sagen?

  • Vielleicht wollen wir oder andere Mitdiskutanten sagen, dass die Auferstehung Jesu wirklich, d.h. zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte und an einem konkreten Ort – also in diesem Fall um das Jahr 30 n. Chr. vor den Toren von Jerusalem in der Nähe der heutigen Grabeskirche – stattgefunden hat. In diesem Sinn verstehen die neutestamentlichen Zeugen ihre Auferstehungsbotschaft als „historisch“ zutreffend.
  • Mit dem Zusatz „historisch“ kann aber auch gemeint sein – und dies ist in der wissenschaftlichen Diskussion um die Auferstehung vorherrschend geworden -, ob dieses Ereignis nach den Maßstäben der klassischen Geschichtsforschung als „historisch wahrscheinlich“ und „plausibel“ erwiesen werden kann. Dazu müsste es in Entsprechung und in Beziehung zu anderen historischen Ereignissen als wahrscheinlich verifiziert werden. Nur dann könnte das Auferstehungsgeschehen als „wahr“ und „historisch“ anerkannt werden. Ein solcher Erweis oder Beweis nach den Prinzipien der Analogie, der Kausalität und der Korrelation lässt sich für die leibliche Auferweckung Jesu gerade nicht führen. Auch das leere Grab ist kein solcher Beweis. 


Was bedeutet das für unsere Ausgangsfrage?
Die Frage nach der Historizität der Auferstehung lässt sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Als historisches Ereignis will das Auferstehungsgeschehen nur insofern verstanden werden, als es aus der kommenden Welt in diese gegenwärtige Welt hineinragt und somit den Anbruch der neuen Schöpfung Gottes mitten in dieser Welt darstellt. Diese neue Schöpfung wird allerdings nach den neutestamentlichen Zeugnissen nicht als eine Wirklichkeit verstanden, die sich mit den Mitteln, Erfahrungen und Verhältnissen der bisherigen menschlichen Geschichte hinreichend erfassen und beschreiben ließe.

Der historische Rand des Auferstehungsgeschehens
Wir kommen mit den Mitteln der historischen Forschung nur zu dem historischen Rand des Geheimnisses der Auferstehung – und das ist das
leere Grab. Soweit immerhin! Als von den Toten Auferstandener ist Jesus weder in dem Grab geblieben, in das sie ihn gelegt hatten, noch auch in seine alte Leiblichkeit zurückgekehrt (wie Lazarus), so dass die Frauen ihn noch in der Umgebung Jerusalems – das heißt in Zeit, Raum und Materie – finden könnten. Aber das leere Grab ist kein Beweis, wie die neutestamentlichen Berichte deutlich machen (Möglichkeit des Leichenraubs!).

So wird auch angesichts des leeren Grabs deutlich, dass die Auferstehungswirklichkeit dem, der nach geschichtlichen Entsprechungen und Erklärungen sucht und urteilt, entzogen bleibt.
Denn die Auferstehung der Toten ist nicht Bestandteil und Möglichkeit der bisherigen menschlichen Geschichte. Sie ist ein eschatologisches Ereignis.


Dr. Gottfried Claß, Friedrichshafen


  • 1 https://www.reflab.ch/summertime-special-4-manuels-bekenntnis/
  • 2 Darum ist die Lazarus-Erzählung in Johannes 11 streng genommen noch keine Ostergeschichte.
  • 3 Vgl dazu ausführlicher: G. Thomas, „Er ist nicht hier!“ Die Rede vom leeren Grab als Zeichen der neuen Schöpfung, in: ders. Gottes Lebendigkeit. Beiträge zur systematischen Theologie, 187ff.