Forum Kirche und Theologie:
Predigten
Dr. Gottfried Claß
Predigt zu 1. Petrus 1,3-9 –
Quasimodogeniti (27.04.2025) – Reihe I
3 Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten,
4 zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch,
5 die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereitet ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit.
6 Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen,
7 auf dass euer Glaube bewährt und viel kostbarer befunden werde als vergängliches Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus.
8 Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude,
9 wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit
Hoffnung und Zuversicht sind zur Mangelware geworden. Täglich werden wir mit Krisen und bedrohlichen Entwicklungen konfrontiert. Das macht uns mürbe. Wie schwer ist es, für eine verkehrte Welt weiter zu hoffen. Kein Wunder, dass viele Menschen sich abschotten: „Ich höre gar keine Nachrichten mehr!“ Aber wenn wir uns ganz ins Private zurückziehen, was dann? Dann triumphieren die Mächte, die nur Hass und Schrecken verbreiten, erst recht.
In dieser Situation hat unser heutiger Predigttext eine Überraschung für uns bereit:
1. Ihr habt geerbt!
Ja, tatsächlich. Das ist kein verspäteter Aprilscherz. Du – ich – wir haben geerbt. Es ist ein ungewöhnliches Erbe. Dabei denken wir vielleicht an eine hübsche Summe auf dem Sparkonto oder das Häuschen der Eltern. Aber hier geht es um Hoffnung und Zuversicht. Die sollen wir erben. Ausgerechnet das, was wir so schmerzlich vermissen. Wir verdanken dieses Erbe Jesus Christus. Seinem Tod und seiner Auferstehung. Er ist als erster durch den Tod zu neuem Leben gedrungen. Als erster! Weitere sollen folgen. Wir sollen ihm folgen. Der Auferstandene will uns zu Miterben machen. Wir sollen an seinem Sieg über den Tod Anteil bekommen.
Durch dieses Erbe sieht unsere Zukunft ganz anders aus. Bisher galt: Das Sicherste im Leben ist der Tod. Er kommt tod-sicher. Zu jedem von uns. In durchaus absehbarer Zeit. Unser Horizont reicht bis zum Tod – und dann ist Schluss. Doch, liebe Gemeinde, hinter dem Horizont geht’s weiter. Das haben wir dem Erbe des Auferstandenen zu verdanken. Er gibt uns das Versprechen: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“ (Joh 14,19). Am Ostermorgen leuchtet auf, worauf es hinausläuft mit unserem Leben, mit unserer Welt. Gott kündigt uns an: „So wie ich Jesus vom Tod erweckt habe, so werde ich die ganze Welt aus der Todeszone holen. Sie bleibt nicht die Beute derer, die nur Angst und Schrecken und Zerstörung verbreiten. Noch blutet diese Welt aus so vielen Wunden. Aber ich werde sie heilen. Mir, dem lebendigen Gott, gehört die Zukunft. Ich mache alles neu!“
Wissen Sie, was über der Eingangstür von Gottes neuer Welt steht? Die Seligpreisungen Jesu! Wenn Gott seine neue Welt heraufführt, dann löst er sie sichtbar ein. Dann werden es alle erfahren: Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden… Schöne Aussichten! Überwältigend schön! Was für ein Erbe, das auf uns wartet. Kein Wunder, dass unser Predigttext in Jubel ausbricht: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“ (V.3).
2. Österliches Erbe – nein danke?
An diesem Erbe scheiden sich die Geister. Viele sagen: „Hoffnung über den Tod hinaus – damit kann ich nichts anfangen. Ich will hier und jetzt glücklich sein und ein erfülltes Leben haben. Alles andere ist pure Spekulation!“ Aber wer das Jenseits vergisst, wird leicht vom Diesseits besessen. Alles muss dann verzweifelt in die kurze Spanne zwischen Leben und Tod hineingepresst werden. Das Leben wird zur „letzten Gelegenheit“ (Marianne Gronemeyer) und gerät unter immensen Druck.
Andere schlagen das österliche Erbe aus, weil sie überzeugt sind: Alles, was zu hoffen ist, ist nur von uns Menschen zu erhoffen. Wenn es Gerechtigkeit und Erlösung gibt, dann nur durch uns Menschen. Doch sie überschätzen die menschlichen Möglichkeiten heillos. Bei allem guten Willen: Wir Menschen bleiben zwiespältige Wesen, bleiben verführbar, werden immer wieder überwältigt von Gier, Verblendung, Macht.
Und: Was ist mit all den Menschen, die viel zu früh gestorben sind, die um ihr Leben betrogen wurden? Das ist die offene Wunde der Weltgeschichte. Haben sie nichts mehr zu erwarten? So viele Schicksale schreien zum Himmel. Werden diese Klagen und Schreie jemals gehört, erhört? Oder bleibt uns nur ein hilfloses „Pech gehabt!“? Die österliche Hoffnung kapituliert hier nicht. Sie setzt darauf, dass Gott sie hört. Nicht die Weltgeschichte hat das letzte Wort, sondern der lebendige Gott. Darum gibt es Hoffnung selbst für die, die unter die Räder kamen. All die Opfer von Gewalt, von Ungerechtigkeit oder einem unbegreiflichen Schicksal. Der auferstandene Christus kennt ihre Namen. Er sucht und findet ihre Spuren. Er wird sie in ein neues Leben rufen und keine Macht der Welt kann ihn dabei aufhalten.
Liebe Gemeinde, unsere Welt braucht dringend Menschen, die so kindlich, so verwegen hoffen – und sich nicht dafür schämen.
3. Österliches Erbe – unverwelklich?
Unser Text bezeichnet das Erbe des Auferstandenen als „unverwelklich“. Stimmt das? Wir erleben doch, dass im Alltag die österliche Hoffnung „Saft und Kraft“ verliert. Wie oft lassen wir uns von einer säkularisierten Welt den Mut nehmen und beschweigen das österliche Erbe schamvoll. Auch die Gemeinde des ersten Petrusbriefs weiß, wie es ist, bedrängt zu werden: „Ihr, die ihr jetzt eine kleine Zeit … traurig seid in mancherlei Anfechtungen“ (V. 5).
An dieser Stelle wird Thomas, der Zweifler wichtig (vgl. Schriftlesung). Er ist der Pechvogel unter den Jüngern! Im entscheidenden Augenblick, als der auferstandene Jesus Christus in ihre Mitte tritt, ist er nicht da. Er kommt zu spät. Und dann trifft er auf die anderen, die völlig aus dem Häuschen sind. Doch Thomas winkt nur ab. Er kann es nicht glauben, dass Jesus lebt. Zu tief sitzt die Enttäuschung. Das Johannesevangelium zensiert hier nichts! Im Gegenteil, es schlägt von Thomas eine Brücke zu uns. Denn auch wir kommen zu spät. Viel zu spät: fast 2000 Jahre. Auch wir waren nicht dabei, als der Auferstandene diesem ersten Christen-Häuflein erschien. Auch wir würden gerne mehr davon sehen, dass Jesus lebt und Tod und Hölle besiegt hat.
Wie findet Thomas heraus aus seinen Zweifeln? Von sich aus gar nicht! Aber zum Glück macht sich der Auferstandene nicht von unserem Glauben abhängig. Auch unsere stärksten Zweifel können nicht zunichtemachen, dass Jesus lebt. Das erlebt Thomas sehr konkret. Jesus ergreift die Initiative. Er sucht Thomas auf, grüßt ihn mit dem österlichen Gruß: „Friede sei mit dir!“ Und jetzt wird es auch bei Thomas Ostern.
Und wenn wir selbst in den Dornen des Zweifels drinhängen? Auch wir dürfen auf den Auferstandenen hoffen. Dass er uns aufsucht. Dass sein Heiliger Geist uns berührt, uns öffnet für das Wunder des Glaubens. Vielleicht in einer alten Kirche, wo uns Stille umfängt, heilsame Stille. Wo wir zu ahnen beginnen: Wir sind umgeben von einer Welt, die viel größer ist als die ach so begrenzte Welt der Tatsachen. – Vielleicht in einem Bibelwort, das am Morgen zu uns spricht. Und am Abend ist das Gefühl da: Dieses Wort hat mich durch den Tag getragen. - Vielleicht auch im Gottesdienst. Mitten in einer Welt, die in der Annahme lebt, dass es keinen Gott gibt, kommen Menschen unter der gegenteiligen Voraussetzung zusammen. Sie singen und beten, reden und hören – und rechnen mit dem lebendigen Gott. Und immer wieder geschieht es, dass er ihre Zweifel zurückdrängt und sich ihnen ganz neu erschließt. Das ist das Wunder des Glaubens. Oder mit den Worten unseres Predigttextes: „Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht…“.
Liebe Gemeinde, mag bei uns das österliche Erbe zeitweilig von Zweifeln zerzaust sein, aber Gott schützt das Erbe, er bewahrt es im Himmel für uns auf, wie es im Text heißt (V. 4). Was für ein Trost! Was für eine Entlastung! Das österliche Erbe steht und fällt nicht mit unserer Glaubenskraft. Gott selbst ist der Garant, dass dieses Erbe einmal an uns ausgegeben wird. Er behält fest im Blick, was er am Ostermorgen versprochen hat: dass er diese Welt von Grund auf verwandeln will.
4. Kleinere Münzen vom großen Erbe werden jetzt schon ausgezahlt
Vom großen Erbe wird schon jetzt an uns ausgeteilt. Kleine und größere Münzen Hoffnung. Kleine und größere Münzen österlichen Lebensmut. Dafür sorgt der Heilige Geist. In unserer Gesellschaft scheinen so viele Menschen auf das Negative programmiert. Immer auf der Suche nach Anlässen, sich zu empören. Umso dringender braucht es Menschen, die beharrlich auf der Suche sind nach Ermutigendem. Die das Schöne wahrnehmen, die gute Geschichten weitererzählen. Gottes Geist öffnet uns dafür die Augen, schärft uns den Blick. Dass wir das Wunder von Gottes Güte mitten im Alltäglichen entdecken: Sieh doch, wie viel unaufdringliche Liebe und Freundlichkeit dich jeden Tag umgibt, vom ersten Licht und den ersten Stimmen der Vögel an. Erinnere dich an all die Wunder der Bewahrung, die du erlebt hast. Schau dich um, wie viel Gutes in unseren Kirchengemeinden landauf landab geschieht – allen Umbrüchen zum Trotz. Sieh doch, wie Menschen füreinander sorgen und einstehen – oft ganz im Verborgenen! So viele Menschen sind verunsichert. Erzähl ihnen von der Kraft des christlichen Glaubens. Dass er eine Hoffnung in die Welt bringt, die nirgendwo anders zu finden ist. Und dass diese Hoffnung sie von ihrer Angst befreien kann. So wird das große Erbe schon jetzt unter uns wirksam. Amen.
Dr. Gottfried Claß, 88048 Friedrichshafen