Forum Kirche und Theologie:
Kontroverses

Günter Thomas


Notizen zu Ostern 2025


Der an Weihnachten in die Welt gekommene Christus erträgt diese Welt der rohen Gewalt, der raffinierten Dummheit und der zynisch-entspannten Gleichgültigkeit. Gott kommt in seine Schöpfung in dieser Christus-Etappe seines Weltabenteuers. Gott setzt sich dieser Welt aus, im vollen Risiko und ohne einen rückversichernden Plan B. In dem Mann aus Nazareth tritt Gott ein in die von ihm verschiedene Wirklichkeit. Es ist nicht nur eine Welt der Endlichkeit und der naturalen Prozesse, eine Welt in Raum und Zeit, mit Geschichten und Traditionen. Es ist vielmehr eine Welt, die dem Risiko, in die Irre zu gehen, schon immer erlegen ist. Gewalt ist in allem Fleisch, so die göttliche Diagnose in der Flutgeschichte bei dem Blick auf die Erde. Von dieser Welt will Gott betroffen sein. Von dieser Welt will er sich in Christus affizieren lassen, will sie intensiv erfahren. Auf diese Welt lässt sich Gott in seiner Suche nach leiblicher Gemeinschaft ein. Schon die Menschwerdung und das jesuanische Wirken in Israel ist ein Moment in der Konfliktgeschichte Gottes mit seiner Welt. Zum rebellischen und zum gebrochenen, verletzten und beschädigten Leben wendet sich Christus, gewinnend und selbst verletzlich.


Und dann kommt der Karfreitag. Das Kreuz dokumentiert, mit welcher verletzlichen, und damit hingebenden Liebe sich Gott seiner Schöpfung selbst aussetzt. Unter den dominierenden Bedingungen der Gewalt, der Dummheit und der Gleichgültigkeit ist das Kreuz die geradezu natürliche Konsequenz dieses Lebens der verletzlichen Liebe. Darin ist es ein unüberbietbares Zeichen der Solidarität mit all denen, die der Gewalt schon erlegen sind und immer wieder erliegen. Bis heute.


Wie Dietrich Bonhoeffer richtig erkannte, feiern wir Menschen an Karfreitag aber auch eine provozierend-selbstkritische Einsicht: Im Kreuz sehen wir unseren eigenen Willen zur Gottesferne. Unser Bedürfnis, Gott, diesen Gott, los werden zu wollen. Den tief sitzenden Willen zur Gottlosigkeit bekommen Christen wie Nichtchristen an Karfreitag gespiegelt. In dem Dunkel des Karfreitags erkennen wir in abgründiger Ehrlichkeit unseren menschlichen Widerwillen gegen Gott. Karfreitag ist der Triumph des Willens zur Gottesferne. Unter diesem Kreuz stehen alle Menschen.


Es war in den 70er Jahren Jürgen Moltmann, der auf eine abgründige Dimension von Karfreitag verwiesen hat, eine Dimension, die Christen auch öffentlich kommunizieren dürfen, ja, müssen. Das Kreuz ist der Ort einer Gotteskrise. Die mit der Menschwerdung anhebende Passion Gottes endet in einer Vertrauenskrise zwischen dem Gekreuzigten und Gott. In der tiefsten Erfahrung der Welt bringt der Christus die Gottverlassenheit vor Gott. In der Erfahrung der gewaltdurchsetzten, tödlichen Welt ruft der Gekreuzigte stellvertretend für unzählige Menschen vor und nach ihm nach der rettenden, befreienden, dem Leiden widerstehenden Solidarität des Vaters. Weil Christus Gott klagt, dürfen auch Christen klagen und die Schwere der Welt vor Gott bringen. 


In all dem, erträgt Christus mit klagend-rebellischer Geduld eine Gewalt und Sünde der Welt. Er trägt die Sünde der Welt, weil er sie erträgt – und vor Gott vergegenwärtigt. Der Mann aus Nazareth erträgt das Elend des unschuldigen Opfers, erträgt die tödliche Viktimisierung und den zynischen Umgang mit der Wahrheit.


Für die Jünger ist die Sache zu Ende. Sie mauern sich in ihrer Mutlosigkeit und Verzweiflung ein. Wer ohne den Ostermorgen das Heil des Kreuzes feiern möchte, möchte heroischer und schlauer sein als die Jünger. 


Was ist heilsam an diesem Scheitern, an diesem Triumph der Gewalt? Heilsam ist das Kreuz, weil es Gott zu einer Denkpause zwingt. Weil es Gott im Konflikt einen Strategiewechsel ausbauen lässt. Das Leiden selbst ist nicht erlösend. Schmerz allein heilt nicht. Niemals. Aber er legt einen Konflikt offen, der schöpferisch gelöst werden muss.


Der Ostermorgen offenbart Gottes Umgang mit dieser Welt voller tödlicher Gewalt, Dummheit und Gleichgültigkeit. Wie reagiert Gott auf die Welt, die sich an Christus austobt?


Gott erträgt die unerträgliche Welt, ohne zum Rächer zu werden. Der Ostermorgen ist Gottes Protest gegen alle tödlichen Viktimisierungen in dieser Welt. Gott flieht nicht. Gott resigniert nicht und wird nicht zum Richter. Gott lässt sich bewegen, lässt sich mobilisieren. Der Vater ist kein Stoiker und auch kein Flaneur – sondern ein sich Sorgender. Gottes Leidenschaft lässt sich entfachen. Die Klage des von Gott Verlassenen wird beantwortet. Gott ist am dritten Tag auch ungeduldig.


Auf die Krise des Kreuzes reagiert Gott mit einem unbeschreiblichen und unglaublichen Geschehen. Ein Geschehen ohne neugierige Beobachter oder andere theologische Schlaumeier. Gott handelt in einem Faktum, das auch ein absurd klingendes Versprechen ist: Auferweckung des Toten. Gott überbietet sich an schöpferischer Kreativität – ohne aufzurechnen und anzurechnen. Gott vergibt die Schuld der Gottesfeindschaft wie die der bedürfnisfreien Gottesvergessenheit.


Alles kann ganz anders sein – weil Christus auferweckt worden ist. Aber eben wirklich ist. Das ist der Ausgang einer neuen Welt. Mit diesem Start kann nun auch die Sache Jesu mit neuem Elan weitergehen. Nur so. Wer meint, die Auferweckung sei nur ein Erkenntnisereignis im Kopf, der bringt sich um die Pointe. Alle, wirklich alle kommen zu spät. Allen, tatsächlich allen, kommt Gott in diesem unglaublichen und unbeschreiblichen Ereignis zuvor. Jetzt haben sie tatsächlich allen Grund zu beten: „Und erlöse uns von dem Bösen.“ Am Ostermorgen werden Christen zu jubelnd freudigen und klagend-protestierenden Wartenden. Sie werden zu Menschen, die Gott an wirkliche Möglichkeiten erinnern. 


Im Rhythmus der Natur zu stehen, das lässt sich auch als Heide aktiv leben. Dazu reicht die nordische Edda. Aber das Osterlachen gilt nicht dem überwundenen Winter oder der überwältigenden Evidenz des Frühlings. Es gilt einer durch Ostern, im Licht eines ungeheuerlichen Versprechens alt gewordenen Welt. Und mehr noch. Seit dem Ostermorgen dürfen alle Majestätspersonen verlacht werden. 


Und doch stecken wir 2025 mit diesem großen Versprechen einer neuen Welt auch fest. Sollen wir, des Wartens leid, einfach selbst mehr anpacken? Konfrontiert mit den weiten Landschaften der bedürfnisfreien Gottesvergessenheit, konfrontiert mit politischen, ökologischen und wirtschaftlichen Krisen rutscht aber auch der Glaube, dass wir selbst den Job übernehmen können, in eine Krise. 


Sollen wir als Christen, als Kirche einfach das Thema wechseln? Das Problem scheint daueraktuell zu sein. In den langen, ein massives Abwesenheitsproblem anzeigenden Abschiedsreden ist es der Geist des Trostes, der in der Freude bleiben lässt. So feiern wir Ostern in der Hoffnung, dass der Auferstandene immer wieder in die Mitte der Versprechenserschöpften tritt. Dass er sich zeigt bei denen, deren Erwartung zu erlöschen droht, bei denen, die in der Versuchung stehen, das Thema zu wechseln. Wir feiern 2025 Ostern in der Gewissheit, dass der Auferstandene mit großer Treue immer wieder durch die verschlossenen Türen tritt und spricht: „Friede sei mit Euch… Nehmet hin den heiligen Geist.“


Darum pflanzt Ostern die Sehnsucht nach Pfingsten. Dass das göttliche Versprechen ein hier und heute wirksames Versprechen ist, das ist die Pointe von Pfingsten. Ereignete sich die Auferweckung des Gekreuzigten in der Kraft des Geistes, so ist es dieser Geist, der das große Versprechen „Auferstehung der Toten“ schon heute wirksam sein lässt. Der Geist kommt dazu in den Schlamassel dieser Welt. Der Geist Gottes nimmt uns in die Bewegung des unglaublichen und unbeschreiblichen Ereignisses hinein.


Und dann? Dann heißt es ganz praktisch, mit der Osterfreude im Schlamassel dieser Welt zu arbeiten.